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15.11.2017

Mit Urteil vom 09.11.17 (Rs C-489/15 – CTL Logistics GmbH) widersprach der EuGH der mittlerweile als gefestigte Rechtsprechung anzusehenden Anwendung des § 315 BGB auf Infrastrukturnutzungsentgelte im Eisenbahnsektor. Die CTL Logistics hatte die DB Netz auf Rückzahlung von Stornierungs- und Änderungsentgelten für Änderung/Stornierung einer zuvor gebuchten Zugtrasse verklagt und sich auf eine im Sinne von § 315 BGB unbillige Festsetzung der Entgelte berufen. Das LG Berlin, vor dem der Rechtsstreit geführt wurde, hat die Frage, ob ein Anspruch aus §§ 812 i.V.m. 315 BGB mit der Richtlinie 2001/14/EG vereinbar ist, dem EuGH vorgelegt. Das Urteil des EuGH, mit dem dieser eine zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle der Infrastrukturnutzungsentgelte neben den Kompetenzen der Regulierungsbehörde ablehnt, beschneidet die Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) und Aufgabenträger (insbesondere die Bundesländer) um ein wichtiges Instrument zur Rückforderung von Infrastrukturentgelten im Eisenbahnsektor. Das betrifft z. B. die von der DB Netz erhobenen „Regionalfaktoren“ (Zuschläge für spärlich befahrene Strecken in der Provinz) und die von der DB Station und Service AG erhobenen Stationsentgelte. Die Bundesnetzagentur hatte 2010 entschieden, dass die Höhe dieser Entgelte rechtswidrig und die Zahlungen der EVU deshalb überhöht waren. Die Höhe der Regionalfaktoren, die 2003 - 2010 erhoben wurden, beträgt allein für NRW und allein für 2009 bis 2011 rund 21 Mio. €.

Ihren Rückforderungsanspruch stützen die EVU u. a. auf § 812 BGB und machen dabei geltend, die erhobenen Entgelte entsprächen nicht billigem Ermessen, wie es § 315 BGB von den Infrastrukturbetreibern als Monopolisten verlange. Der BGH ist dem gefolgt (vgl. z.B. Urteil vom 18.10.11, KZR 18/10) und führte insbesondere aus, dass für die Anwendung des § 315 BGB durch die Zivilgerichte ein eigenständiger Anwendungsbereich neben dem öffentlich-rechtlichen Eisenbahnrecht (§§ 14 e und f AEG a.F.) verbleibe. Das sei auch geboten, da die Entgelte nach damals geltendem Eisenbahnrecht keiner Genehmigung durch die Regulierungsbehörde bedurften, sondern ihr nur angezeigt wurden. Eine Pflicht der Regulierungsbehörde, unangemessene Entgelte zu beanstanden, gab es nicht. Die Infrastrukturunternehmen hatten hingegen die Auffassung vertreten, dass den EVU nur die Instrumentarien des Eisenbahnrechts zur Verfügung stünden, also insbesondere die Anregung an die BNetzA, die Entgelte zu beanstanden.

Der EuGH folgt der Rechtsprechung des BGH nicht und verweist dabei insbesondere auf die Unvereinbarkeit der von § 315 BGB angestrebten Vertragsgerechtigkeit, die notwendig Einzelfallgerechtigkeit ist, mit dem Ziel der Richtlinie 2001/14, die die Anwendung einheitlicher Kriterien für die Entgelthöhe erfordere. Die Anwendung von § 315 BGB gefährde außerdem die von der Richtlinie erstrebte Unabhängigkeit der Infrastrukturunternehmen, indem sie deren Spielraum bei der Entgeltfestsetzung einenge. Sie greife überdies in die Zuständigkeiten der Regulierungsstelle ein, was ebenfalls mit der Richtlinie unvereinbar sei. Eine Rückforderung kommt danach nur und nur für den Zeitraum in Betracht, für den die Regulierungsbehörde eine Unangemessenheit der Entgelte feststellt. Nach § 14 f AEG konnte die BNetzA Entgelte nicht rückwirkend für rechtswidrig erklären.

Seit 2016 ist die Problematik für Trassenpreise und Stationsentgelte durch das ERegG neu geregelt. Die Trassenpreise und Stationsentgelte bedürfen anders als zuvor einer Genehmigung durch die Regulierungsbehörde. Die genehmigten Entgelte gelten als billig im Sinne von § 315 BGB. Das geltende Recht ist somit auf EuGH-Linie, betrifft freilich aber nur ab 2016 erhobene Entgelte. Eisenbahnverkehrsunternehmen und Aufgabenträger müssen Einwände gegen Infrastrukturnutzungsentgelte schon im Genehmigungsverfahren vor der Regulierungsbehörde geltend machen.

Das Urteil des EuGH befasst sich nicht mit der Möglichkeit von EVU und Aufgabenträgern, überhöhte Entgelte nach kartellrechtlichen Grundsätzen zurückzufordern. Das ist für die Betroffenen auch vor dem Hintergrund günstig, dass für kartellrechtliche Ansprüche längere Verjährungsfristen gelten als für Ansprüche aus §§ 812, 315 BGB. Dem Kartellrecht kann jedenfalls nicht der Vorwurf gemacht werden, Einzelfallgerechtigkeit anzustreben. Die Entscheidung des EuGH verhält sich zu dieser Frage nicht ausdrücklich.