Journal

21.06.2015

Beitrag von Rechtsanwältin Dr. Hildebrandt im Vergabenavigator 2/15

 

OLG Düsseldorf: Neue Preisabfrage für Einzelpositionen nach Submission

Ein öffentlicher Auftraggeber kann grundsätzlich nicht verpflichtet werden, einen Auftrag aufgrund einer Ausschreibung zu erteilen, die er als fehlerhaft erkannt hat. Auch nach Submission darf der Auftraggeber daher das Vergabeverfahren teilweise in den Zeitpunkt vor Angebotsabgabe zurückversetzen. Für einzelne Positionen dürfen dann neue Preise aufgrund eines korrigierten Leistungsverzeichnisses eingeholt werden – ohne dass es hierzu eines neuen Submissionstermins bedarf. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf im Beschluss vom 12.01.2015 (Verg 29/14) entschieden. Das Gericht hat sich zugleich auch zu den Grenzen dieser Gestaltungsfreiheit geäußert.

 

Der Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb unter anderem Leistungen zur Errichtung einer Tiefgarage nebst dazugehörigen Spezialtiefbauarbeiten aus. Hierzu gehörte die Herstellung eines Baugrubenverbaus mittels Bohrpfählen. Verbauarbeiten können nach der VOB/C nach Sichtflächen oder statischen Flächen abgerechnet werden. Bei den Sichtflächen handelt es sich um diejenigen oberhalb der Baugrubenoberfläche; bei Abrechnung nach statischen Flächen sind auch die im Erdreich befindlichen Flächen entsprechend der Länge der Pfähle abrechnungsrelevant. Der Auftraggeber hatte im Leistungsverzeichnis nicht festgelegt, welche Flächen der späteren Abrechnung und Angebotskalkulation zugrunde zu legen sind. Die Massenvordersätze im Leistungsverzeichnis entsprachen den statischen Flächen.

Auf Bieteranfragen hin teilte der Auftraggeber den Bietern jedoch mit, der Kalkulation seien die Sichtflächen zugrunde zu legen. Massen hierfür gab er nicht an, sondern verwies nur auf die den den Vergabeunterlagen beigefügten planerischen Zeichnungen.

Anhand der eingereichen Angebote war erkennbar, dass die Bieter die Sichtflächen auf Grundlage der Pläne offenbar unterschiedlich errechnet und damit ihrer Preiskalkulation unterschiedliche Massen zugrunde ge-legt hatten. Somit waren die Angebote nicht vergleichbar. Der Auftraggeber entschied sich daher, nunmehr selbst unter Zugrundelegung der Sichtflächen für die davon betroffenen sieben Leistungspositionen neue, niedrigere Massenvordersätze festzulegen.

Zugleich gab er allen Bietern die Möglichkeit, die dazu in den Angeboten angegebenen Einheitspreise unter Berücksichtigung der neu festgelegten Massen innerhalb einer bestimmten Frist neu zu kalkulieren und anzubieten. Der Angebotswertung wollte er dann die neu angebotenen Preise zugrunde legen.

Dies rügte der bis dahin günstigste Bieter als vergaberechtswidrig, weil das Verga-beverfahren hierdurch manipulierbar werde und ein Verstoß gegen das Nachverhandlungsverbot und eine Wettbewerbsverzerrung vorliege.

Es kam dann, wie es kommen musste: Mit den neuen Preisen verschob sich die Bieterrangfolge. Während der bislang günstigste Bieter in den sieben Positionen an seinen bisher angebotenen Einheitspreisen festhielt und sein Angebot nur rechnerisch den neuen Massen anpasste, bot der zuvor zweitplatzierte Bieter hierzu neue und erheblich unter seinen vorherigen Preisen liegende Einheitspreise an. Dem lag das Angebot eines anderen und preisgünstigeren Nachunternehmers zugrunde.

Der Auftraggeber unterrichtete die Bieter schriftlich über die neuen Endsummen der Angebote und kündigte an, den Zuschlag nunmehr auf das Angebot des jetzt günstigsten Bieters zu erteilen. Eine erneute öffentliche Submission führte er nicht durch.

Hiergegen wendete sich der nun vom ersten Platz verwiesene Bieter mit seinem Nachprüfungsantrag, dem die Vergabekammer stattgab. Sie untersagte dem Auftraggeber, die nachträglich angebotenen Preise der Angebotswertung zugrunde zu legen und gab ihm auf, den im Vergabeverfahren verbliebenen Bietern die Möglichkeit zur Abgabe erneuter vollständiger Angebote auf Basis des korrigierten Leistungsverzeichnisses zu gewähren. Eine zweite auf einzelne Leistungspositionen beschränkte Angebotsrunde sei ein Verstoß gegen das Verbot von Nachverhandlungen. Hiergegen wandte sich der Auftraggeber mit der sofortigen Beschwerde.

 

Die Entscheidung

Die sofortige Beschwerde hatte Erfolg.

Zunächst betont das OLG Düsseldorf, dass der Auftraggeber grundsätzlich zu einer Fehlerkorrektur berechtigt ist und zwar auch nach bereits erfolgter Submission. In der teilweisen Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in eine zweite, auf sieben Preispositionen beschränkte Angebotsrunde sei eine zulässige Teilaufhebung zu sehen.

Dem Hinweis auf eine etwaige Manipulationsgefahr bei einer Fehlerkorrektur nach Submission begegnet das Gericht mit Argument, dass diese der uneingeschränkten Kontrolle der Nachprüfungsinstanzen unterliege und somit keineswegs eine im Belieben des Auftraggebers stehende Wiederholung der Angebotsabgabe möglich sei.

Die Korrektur sei nicht an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 VOB/A-EG für die Aufhebung einer Ausschreibung gebunden. Der Vergabesenat betont hier nochmals den Unterschied zwischen der Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit einer Aufhebungsentscheidung bzw. Teilaufhebung.

Voraussetzung für die Aufhebung sei nur ein sachlicher Grund. Ob ein Aufhebungsgrund im Sinne des § 17 Abs. 1 VOB/A-EG vorliegt, sei nur für etwaige Schadensersatzansprüche der Bieter von Bedeutung.

Im konkreten Fall sei die teilweise Zurückversetzung des Vergabeverfahrens deshalb sachlich gerechtfertigt und wirksam, weil die Ausschreibung wegen der unzureichenden und widersprüchlichen Massenvordersätze fehlerhaft war. Der Fehler sei erheblich gewesen und habe der Korrektur bedurft, weil die Angebote nicht mehr vergleichbar gewesen seien.

Anders als zuvor die Vergabekammer, sah das OLG Düsseldorf es nicht als vergaberechtswidrig an, die zweite Angebotsrunde auf Preisangaben zu sieben Positionen zu beschränken.

Wie und in welchem Umfang ein öffentlicher Auftraggeber einen erkannten Fehler in seiner Ausschreibung behebe, unterliege seiner Gestaltungsfreiheit, die nur an die vergaberechtlichen Gebote der Transparenz, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung gebunden sei.

Diese Gebote sah das Gericht nicht als verletzt an. Allen Bietern sei in transparenter Form die Änderung der Massenvordersätze mitgeteilt worden. Sodann habe allen Bietern die Möglichkeit offen gestanden, entweder ihre Preise nur rechnerisch den veränderten Massen anzupassen oder neu zu kalkulieren. Dass der nach der zweiten Runde für den Zuschlag ausgewählte Bieter (die Beigeladene) diese Chance ergriffen und sich für einen anderen und günstigeren Nachunternehmer entschieden habe, führe nicht zu einer Diskriminierung, denn andere Bieter hätten dieselbe Möglichkeit gehabt.

Auch sei das Gebot eines fairen Wettbewerbs nicht verletzt – auch nicht dadurch, dass das Submissionsergebnis den Bietern bekannt war. Die Gefahr, dass sich die eröffnete Neukalkulation auf die Zuschlagserteilung auswirken könnte, sei für die Antragstellerin ebenso wie für die anderen Bieter erkennbar und Ausdruck eines nach wie vor unentschiedenen Wettbewerbs gewesen.

Hinsichtlich des Umfangs einer auf diese Weise möglichen Korrektur setzte sich das OLG Düsseldorf schließlich in Gegensatz zu einer Entscheidung des OLG Dresden (Beschluss vom 23.07.2013, Verg 2/13).

Das OLG Dresden hält eine Korrektur nach Submission nur für möglich, wenn sie weniger als 15 % der Angebotssumme betrifft. Denn eine einwandfreie Preisermittlung und damit ein fairer Wettbewerb seien nicht mehr gewährleistet, wenn die von der Änderung betroffenen Positionen die Preisstruktur der Angebote mitbestimmt und das Preisgefüge des Angebots nachhaltig berührt haben können. Bei einem Anteil der zu korrigierenden Preispositionen von ca. 15 % der Angebotssummen bedürfe es deshalb der Einholung neuer Angebote.

Das OLG Düsseldorf stimmt mit dem OLG Dresden insoweit überein, als es einen fairen Wettbewerb dann nicht mehr gewährleistet sieht, wenn die von der Änderung betroffenen Positionen die Preisstruktur der Angebote im Übrigen mitbestimmen und das Preisgefüge des Angebots in relevanter Weise berühren.

Es wendet sich jedoch dagegen, einen solchen Einfluss an einem Schwellenwert festzumachen. Stattdessen soll der Auftraggeber im Einzelfall zu prüfen haben, ob die beabsichtigte und auf bestimmte Preise bezogene Preisänderung Einfluss auf das Preisgefüge im Übrigen haben kann. Stehe dies zu befürchten, sei er an einer solchen Fehlerkorrektur gehindert und müsse gegebenenfalls vollständig neue Angebote einholen.

Das Gericht betont, dass hierbei an die Prüfungstiefe nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden dürfen. Im konkreten Fall hatte die Antragstellerin nichts Überzeugendes für einen Einfluss der betroffenen Positionen auf das Preisgefüge im Ganzen vorgetragen.

Einer Vorlage an den Bundesgerichtshof bedurfte es nicht, weil die im Streitfall betroffenen Positionen weniger als 10 % des Auftragswerts betrugen und somit die Sichtweise hierzu nicht entscheidungserheblich war.

Schließlich verneint der Vergabesenat noch kurz und knapp den von der Vergabekammer gesehenen Verstoß gegen das Nachverhandlungsgebot mit der Begründung, dass alle Bieter die gleiche Chance hatten, ihre Preise neu zu kalkulieren.

Einer erneuten Submission bedurfte es nach Auffassung des Vergabesenats im Übrigen nicht. Die Angebote seien bereits den vergaberechtlichen Vorschriften entsprechend geöffnet worden. Eine nur teilweise Eröffnung einer zweiten Angebotsrunde führe nicht zu neuen Angeboten im Sinne des § 14 VOB/A-EG.

 

Praxishinweise

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf geht von einer großen Gestaltungsfreiheit des Auftraggebers bei der Fehlerkorrektur aus.

Im Hinblick auf die strengere Auffassung etwa des OLG Dresden können Auftraggeber in ähnlichen Situationen sich fragen, ob eine Aufhebung im Ganzen oder jedenfalls die Einholung vollständiger neuer Angebote von den beteiligten Bietern nicht die rechtssicherere Verfahrensweise ist. Das hängt davon ab, ob ein zur Verfügung stehendes milderes Mittel – will man die Einholung nur weniger neuer Preise gegenüber der Einholung neuer Angebote als solches ansehen – zwingend gewählt werden muss.

Eine Entscheidung des BGH deutet auf die Wahlfreiheit des Auftraggebers hin (BGH, Beschluss v. 26.09.2006, X ZB 14/06): Wenn der grundlegende Mangel des eingeleiteten Vergabeverfahrens nicht eine durch transparente und diskriminierungsfreie Änderung der betreffenden Vorgabe behoben werden könne oder der öffentliche Auftraggeber von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch mache, sei er gehalten, so der BGH, die Ausschreibung wegen des Mangels aufzuheben.

Dem gegenüber hob das OLG München in einem ganz ähnlich wie hier gelagerten Fall (als fehlerhaft erkannte Mengenvordersätze) die Aufhebung der Ausschreibung durch den Auftraggeber auf und versetzte das Ausschreibungsverfahren zurück in den Stand vor der Aufhebung. Das Gericht begründete dies damit, dass kein sachlicher Grund für die Aufhebung bestehe, wenn ein milderes Mittel der Fehlerkorrektur zur Verfügung stehe. Dies sah es in der Übersendung entsprechend korrigierter Leistungsverzeichnisse an die bisherigen Bieter (offenbar allerdings der gesamten Leistungsverzeichnisse).

Möglicherweise könnten Vergabesenate aber auch in der Einholung neuer einzelner Preise ein milderes Mittel gegenüber der Einholung gänzlich neuer Angebote sehen.

Im Ergebnis ist zu empfehlen, jedenfalls die Einholung neuer Angebote der beteiligten Bieter einer gänzlichen Aufhebung vorzuziehen. Ob nur neue Preise zu einzelnen Positionen eingeholt werden, hängt zunächst von der Prüfung ab, ob diese das Preisgefüge insgesamt berührt haben können. Nur wenn dies nicht der Fall ist, sollte eine Einholung neuer Preise zu einzelnen Positionen erwogen werden, wobei wegen der unterschiedlichen Rechtsprechung hier eine gewisse Unsicherheit bleibt, ob dies oder die Einholung neuer Angebote der sicherere Weg ist.

Dass schließlich das OLG Düsseldorf keine formelle Submission für die eingereichten neuen Preise, letztlich ja neue „Teilangebote“, für erforderlich hält, überrascht etwas und wird sehr formal damit begründet, dass keine neuen Angebote i. S. d. § 14 VOB/A EG vorliegen. Da bei einer erneuten Teileröffnung des Wettbewerbs ähnliche Manipulationsgefahren bestehen, wie sie durch Verfahrensvorschriften wie § 14 VOB/A verhindert werden sollen, spricht viel dafür, jedenfalls vorsichtshalber eine erneute Submission durchzuführen.