Alter­na­tiver Weg: Beschaf­fung von Natur­steinen unter Berück­sich­ti­gung der Trans­port­ent­fer­nung – Ein Beitrag von Rechts­an­wältin Katja Gnittke im Rahmen der Fachkon­fe­renz „Natur­steine aus verant­wort­li­chen Liefer­ketten“ am 15./16.09.2020 in Stutt­gart

Abbau und Handel mit Natur­steinen erstre­cken sich über den gesamten Globus. Bei der Gewin­nung und Verar­bei­tung von Natur­steinen werden nicht selten zentrale Arbeits- und Menschen­rechte verletzt. Arbeits‑, Sicherheits- und Umwelt­stan­dards in Stein­brü­chen und stein­ver­ar­bei­tenden Betrieben entspre­chen nicht überall den z. B. in Deutsch­land geltenden Standards. Abbau und Trans­porte führen zudem zu Emissionen und haben Auswir­kungen auf Klima und Umwelt.

Öffent­liche Auftraggeber*innen, wie zum Beispiel Kommunen, beschaffen Natur­steine für Bauvor­haben (u.a. Pflaster, Bordstein­pro­file, Granit­poller). Dabei unter­liegen sie dem Vergaberecht. Im Hinblick auf die Einhal­tung sozialer und ökolo­gi­scher Krite­rien, wie zum Beispiel der ILO-Kernarbeitsnormen, ist die Nachweis­füh­rung gerade bei einem entfern­teren Herkunftsort eine prakti­sche Heraus­for­de­rung im Verga­be­ver­fahren. Vor diesem Hinter­grund hätte die Beschaf­fung von Natur­steinen aus regio­nalen oder zumin­dest aus europäi­schen Stein­brü­chen Vorteile.

Aufgrund des Volumens und des Gewichts von Natur­steinen verur­sa­chen die Trans­port­wege nicht unerheb­liche Trans­portemis­sionen (siehe Artikel von Reiner Krug in dieser Publi­ka­tion).

Ob und wie die Trans­port­ent­fer­nung und/oder Trans­portemis­sionen bei der Beschaf­fung von Natur­steinen durch öffent­liche Auftraggeber*innen in Verga­be­ver­fahren Berück­sich­ti­gung finden können, war Gegen­stand eines Workshops auf der Fachkon­fe­renz „Natur­steine aus verant­wort­li­chen Liefer­ketten“ im September 2020 in Stutt­gart und einer verga­be­recht­li­chen Stellung­nahme, die WMRC Rechts­an­wälte 2019/2020 für WEED e.V. erstellt haben. In diesem Beitrag werden die wesent­li­chen Gesichts­punkte und Ergeb­nisse der Diskus­sion, die in diesem Rahmen statt­ge­funden hat, zusam­men­ge­fasst.

Verga­be­recht­liche Eckpunkte

Trans­portemis­sionen und Trans­port­ent­fer­nung als Krite­rium in einem Verga­be­ver­fahren sind den allge­meinen verga­be­recht­li­chen Grenzen unter­worfen. Voraus­set­zung für die Berück­sich­ti­gung von Anfor­de­rungen an den Beschaf­fungs­ge­gen­stand sind

• eine Verbin­dung zum Auftrags­ge­gen­stand,

• die hinrei­chend bestimmte und trans­pa­rente Darstel­lung in den Verga­be­un­ter­lagen und

• die Möglich­keit der Überprü­fung durch den/die Auftraggeber*in.

Dies ergibt sich u.a. aus § 122 Abs. 4, § 127 Abs. 3, § 128 Abs. 2 GWB und gilt unabhängig davon, ob ein Krite­rium als verbind­li­ches Leistungs­merkmal oder als eines von mehreren Auswahl­kri­te­rien bei der Zuschlags­ent­schei­dung festge­legt wird.

Die öffent­li­chen Auftraggeber*innen müssen sich bei der Beschaf­fung von Natur­steinen bei der Erstel­lung der Leistungs­be­schrei­bung damit ausein­an­der­setzen, welche Eigen­schaften sie vorgeben und ob dies Einfluss auf den Herkunftsort des Materials hat.

Vorgaben in Verga­be­un­ter­lagen, die bestimmte Herkunfts­orte ausschließen, oder Vorgaben, nach denen der Beschaf­fungs­ge­gen­stand von einem bestimmten Herkunftsort stammen muss, sind verga­be­recht­lich nur im Ausnah­me­fall möglich und bedürfen einer sachli­chen Recht­fer­ti­gung durch den Auftrags­ge­gen­stand. Das ist im Hinblick auf regio­nale Vorgaben regel­mäßig nicht oder nur unter engen Voraus­set­zungen verga­be­rechts­si­cher umsetzbar. Denkbar ist dies in beson­deren Fällen, wenn zum Beispiel aus Gründen des Denkmal­schutzes ein bestimmter Stein verwendet werden soll.

Berück­sich­ti­gung der Trans­port­ent­fer­nung bei der Zuschlags­ent­schei­dung

Die Berück­sich­ti­gung von Trans­portemis­sionen und Trans­port­ent­fer­nung bei der Zuschlags­ent­schei­dung greift weniger stark in den Wettbe­werb ein als die Vorgabe eines bestimmten Herkunfts­orts.

Eine Berück­sich­ti­gung der Trans­port­ent­fer­nung in Verga­be­ver­fahren bei der Zuschlags­ent­schei­dung ist durch die Recht­spre­chung bereits mehrfach anerkannt worden. Ökolo­gi­sche Auswir­kungen des Trans­ports sind ein umwelt­be­zo­genes Krite­rium im Sinne von § 58 Abs. 2 S.2 Hs. 1 VgV bzw. § 16 EU Abs. 2 Nr. 2a VOB/A. Nach unserem Verständnis kann die Trans­port­ent­fer­nung als solche aber auch als eine Prognose der CO2-Emissionen heran­ge­zogen werden. Ob der/die Auftraggeber*in bei der Bewer­tung auf die Trans­port­ent­fer­nung abstellt oder Emissionen berechnet und bewertet, dürfte ihm bzw. ihr überlassen sein. Die Vorge­hens­weise muss sich aber aus den Verga­be­un­ter­lagen ergeben und in den Unter­lagen eindeutig definiert werden, damit die Bieter*innen eindeu­tige Angaben zur Trans­port­ent­fer­nung und ggf. zum Trans­port­mittel machen (können).

Angaben der Bieter*innen

Bei der Ausge­stal­tung der Verga­be­un­ter­lagen muss der/die Auftraggeber*in berück­sich­tigen, welche Angaben er/sie von den Bieter*innen benötigt, um eine Bewer­tung anhand der Zuschlags­kri­te­rien – hier der Trans­port­ent­fer­nung – durch­zu­führen. Dabei kann es nur um eine Prognose der voraus­sicht­li­chen Trans­porte gehen.

Die Eckpunkte und den Rahmen dafür legt der/die Auftraggeber*in in den Verga­be­un­ter­lagen fest. Die Verga­be­kammer Karls­ruhe hat bereits eine Ausschrei­bung beanstandet, in der genaue und richtige Angaben verlangt wurden, die schlech­ter­dings nicht gemacht werden konnten (Angabe der indivi­du­ellen, tatsäch­li­chen Verbräuche je Fahrzeug­ein­satz­stunde je Fahrzeugtyp auf den Liter und die Stunde genau, VK Karls­ruhe, 22.02.2017 – 1 VK 6/17).

Die von den Bieter*innen gefor­derten Angaben müssen objektiv überprüfbar und vergleichbar sein. Der/die Auftraggeber*in muss hierfür einheit­liche Maßstäbe aufstellen: Wenn ein*e Bieter*in die Trans­porte vom Stein­bruch zum verar­bei­tenden Betrieb in die Trans­port­ent­fer­nung einbe­zieht und ein*e andere*r nicht, sind die Angebote nicht vergleichbar.

Für eine Berech­nung der Trans­port­ent­fer­nung aller Angebote ist deshalb die Abfrage mindes­tens folgender Angaben durch den/die Auftraggeber*in bei dem/der Bieter*in erfor­der­lich:

• Festle­gung der Einheiten, in denen die Trans­port­ent­fer­nungen angegeben werden (bezogen auf Menge – km/Mg),

• Defini­tion der Trans­port­wege und Teilstre­cken, separate Angabe der Trans­port­ent­fer­nung für Teilstre­cken, separat anhand der exakt zu bestim­menden Koordi­naten oder der Adresse des Start- und Zielpunktes,

• Festle­gung, wie die Trans­port­ent­fer­nung ermit­telt und ggf. überprüft wird. Wird zum Beispiel ein Routen­planer zugrunde gelegt, muss dieser einheit­lich vorge­geben werden, da unter­schied­liche Routen­planer zu verschie­denen Ergeb­nissen führen können. Zu berück­sich­tigen ist, dass gängige Straßen-Routenplaner keine Schiffs­routen in die Routen­pla­nung einbe­ziehen. Es muss auch festge­legt werden, ob der tatsäch­liche Trans­portweg oder eine angenom­mene Route im Angebot berück­sich­tigt wird (z. B. schnellste Route, kürzeste Route, günstigste Route).

• Sofern auch der Einsatz unter­schied­li­cher Trans­port­mittel berück­sich­tigt werden soll (aufgrund unter­schied­li­cher Trans­portemis­sionen von Lkw, Bahn, Schiff): Angabe des Trans­port­mit­tels für die jewei­lige Strecke.

Die Komple­xität erhöht sich, wenn nicht nur auf die Trans­port­ent­fer­nung abgestellt wird, sondern auf die Emissionen.

Die Berech­nungs­me­thode für die bei der Zuschlags­ent­schei­dung relevante Trans­port­ent­fer­nung sollten die Bieter*innen den Verga­be­un­ter­lagen entnehmen können. Wenn allge­mein­gül­tige Berech­nungs­for­meln oder Normen für Trans­portweg oder auch die Trans­portemis­sionen zur Verfü­gung stehen, trägt deren Zugrun­de­le­gung zur Rechts­si­cher­heit des Verga­be­ver­fah­rens bei.

Bewer­tungs­ma­trix

Bei den meisten Verga­be­ver­fahren wird die Trans­port­ent­fer­nung nicht das einzige Zuschlags­kri­te­rium sein. Für die Bewer­tung muss eine Methode festge­legt und den Bieter*innen mitge­teilt werden, die die Trans­port­ent­fer­nung bzw. die Trans­portemis­sionen ins Verhältnis zu anderen Zuschlags­kri­te­rien, z. B. zum Preis, setzt. Verschie­dene Modelle sind denkbar und verga­be­recht­lich erprobt.

Der/die Auftraggeber*in muss eine Entschei­dung über eine angemes­sene Gewich­tung des Krite­riums der Trans­port­ent­fer­nung im Verhältnis zu anderen Krite­rien treffen. Dabei können nach unserem Verständnis auch externe Effekte wie Klima­fol­ge­kosten oder wirtschaft­liche Vorteile bei einer Produk­tion von Steinen in Ländern mit niedri­geren Umwelt­stan­dards eine Rolle spielen.

Der/die Auftraggeber*in sollte die Methode zur Bewer­tung anhand der erwar­teten Angebots­pa­ra­meter vor dem Beginn des Verga­be­ver­fah­rens im Hinblick auf ihre Prakti­ka­bi­lität und die Aussa­ge­kraft der Ergeb­nisse beispiel­haft überprüfen. So gelangt man zum Beispiel zu unter­schied­li­chen Ergeb­nissen je nachdem, ob die Bewer­tung der Transportentfernung/Transportemissionen relativ zum kürzesten angebo­tenen Trans­portweg oder im Verhältnis zu einer vorge­ge­benen Standard-Transportentfernung bewertet wird.

Fazit

Die Berück­sich­ti­gung von Trans­port­ent­fer­nungen und Trans­portemis­sionen bei der Beschaf­fung von Natur­steinen ist verga­be­recht­lich zulässig. Die rechts­si­chere Umset­zung setzt eine Ausein­an­der­set­zung mit üblichen Trans­port­wegen voraus und verlangt eine eindeu­tige Defini­tion. Wird dies berück­sich­tigt, erfüllt ein Verga­be­ver­fahren, in dem die Trans­port­ent­fer­nung von Natur­steinen ein Zuschlags­kri­te­rium ist, die verga­be­recht­li­chen Grund­sätze des Wettbe­werbs, der Nicht­dis­kri­mi­nie­rung und der Trans­pa­renz.

vgl. Broschüre von WEED/WÖK: Natur­steine aus globalen Liefer­ketten – so kann Beschaf­fung nachhaltig gelingen