Freistel­lungs­pa­ra­graf 23 AEG wird repariert

Ende 2023 brachte ein damals überra­schender Handstrich des Gesetz­ge­bers die plane­ri­schen Grund­lagen für zahlreiche Infrastruktur- und Städte­bau­pro­jekte zu Fall. Das geschah, indem der Gesetz­geber in § 23 AEG, der die sog. Freistel­lung von Bahnbe­triebs­zwe­cken regelt, dem Bahnbe­triebs­zweck eines Grund­stücks ein „überra­gendes öffentliches Inter­esse“ verlieh, gegen das sich die Inter­essen des Antrag­stel­lers in einer Abwägung durch­setzen mussten. Die Geset­zes­än­de­rung galt ab dem 29.12.2023. Antrag­steller im Freistel­lungs­ver­fahren sind insbe­son­dere Gemeinden. Diese dürfen gemäß § 38 BauGB Bebau­ungs­pläne für zu Bahnbe­triebs­zwe­cken gewid­mete Grund­stücke erst nach deren eisen­bahn­recht­li­cher Freistel­lung festsetzen.

Diese Vorgaben legte das für die Freistel­lungs­ent­schei­dung zustän­dige Eisen­bahn­bun­desamt (EBA) so aus, dass die Planungs­ho­heit der Gemeinde sich nur in Ausnah­me­fällen gegen die eisen­bahn­recht­liche Widmung durch­setzte, sodass in der Regel Freistel­lungs­an­träge von Gemeinden negativ beschieden wurden. Das betrifft auch, aber nicht nur, Stutt­gart 21. Die Folge war Planungs­un­si­cher­heit und das Stocken vieler bereits weit fortge­schrit­tener städte­bau­li­cher Großvor­haben.

Mit dieser Ausle­gung ignorierte das EBA insbe­son­dere das Gewicht der verfas­sungs­recht­lich garan­tierten gemeind­li­chen Planungs­ho­heit. Deshalb trifft die Ausle­gung des EBA nach Auffas­sung von wmrc nicht zu.

Die Geset­zes­än­de­rung 2023 war gut gemeint, aber schlecht gemacht. In der Tat brauchen Eisen­bahn­schienen ihren Platz, und wer die Energie- und Verkehrs­wende will, muss diesen Platz auch zur Verfü­gung stellen. Weil aber schon Ende 2023 bekannt war, wie viele Infrastruktur- und Städte­bau­pro­jekte auf eine Freistel­lung angewiesen sein würden, hätte der Gesetz­geber dem EBA wenigs­tens in der Geset­zes­be­grün­dung möglichst genaue Vorgaben machen müssen, wann sich gemeind­liche Planungen oder konkrete städte­bau­liche Vorhaben in der Abwägung durch­setzen.

Am 30.6.2025 hat der Bundestag mit großer Mehrheit eine erneute Änderung von § 23 AEG beschlossen. Der neue Geset­zes­text ergibt sich aus der BT Druck­sache 21/326 mit den sich aus der Druck­sache 21/642 ergebenden Ergän­zungen. Das Gesetz bedarf noch der Zustim­mung des Bundes­rats, die voraus­sicht­lich in dessen nächster Sitzung am 11.07.2025 erteilt wird.

Die Neufas­sung läuft im Ergebnis darauf hinaus, dass ein für Bahnbe­triebs­zwecke auch langfristig nicht mehr benötigtes Grund­stück freige­stellt werden muss. Das war schon nach der vor 2024 geltenden Fassung so, aller­dings ist jetzt zusätz­liche Voraus­set­zung, dass durch die Freistel­lung die Wieder­in­be­trieb­nahme einer Strecke nicht verhin­dert werden darf (wobei eine parzel­len­scharfe Planung für die künftige Strecke noch nicht vorliegen muss). Die Wieder­in­be­trieb­nahme ist nach der Geset­zes­be­grün­dung insbe­son­dere dann nicht zu erwarten, wenn mind. 5 % der Strecke inzwi­schen bebaut sind, oder wenn zur Wieder­in­be­trieb­nahme „Enteig­nungen in größerem Umfang“ erfolgen müssten (BT Drs. 21/326 S. 6). Auf der anderen Seite unter­scheidet sich die Neufas­sung von der vor 2024 geltenden Fassung dadurch, dass auch bei bestehendem Verkehrs­be­dürfnis (für Eisen­bahn­zwecke) die Freistel­lung möglich ist, wenn für die wegfal­lende Eisen­bahn­in­fra­struktur Ersatz geschaffen wird.

Von der Rechts­figur des „überra­genden öffent­li­chen Inter­esses“ wollte der Gesetz­geber aber nicht lassen, obwohl – anders als in der ab 2024 und bis zur geplanten Reform geltenden Fassung – keine Abwägung mehr vorzu­nehmen ist. In welche Abwägungs­ent­schei­dungen das überra­gende öffent­liche Inter­esse des Bahnbe­triebs­zwecks dann einzu­stellen ist wird sich ggf. in der Praxis erweisen. Womög­lich wollte der Gesetz­geber aber auch nur mal ein Zeichen setzen.

Das Gesetz enthält auch eine Übergangs­re­ge­lung (§ 38 Abs. 13 AEG neu), Danach werden vor dem 29. Dezember 2023 – also vor der letzten Änderung – beantragte Freistel­lungs­ver­fahren nach den damals geltenden Vorschriften, nach denen eine Freistel­lung einfa­cher möglich ist, fortge­führt. Damit wird die Blockade vieler Vorhaben, deren Planung bereits weit fortge­schritten war, beendet. Zugunsten von Stutt­gart 21 greift die Übergangs­re­ge­lung aber nicht.

wmrc vertritt Antrag­steller, insbe­son­dere Gemeinden und Grundstückseigentümerinnen/Grundstückseigentümer, in Freistel­lungs­ver­fahren vor dem EBA.