23.03.2022
Das Vergaberecht hält öffentliche Auftraggeber dazu an, bei der Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen grundsätzlich auf Wirtschaftlichkeit zu achten. »Es gibt Spielräume bei den Zuschlagskriterien, die über den reinen Preisvergleich hinausgehen«, sagt Katja Gnittke, die bei der Berliner Kanzlei WMRC als Fachanwältin für Vergaberecht tätig ist.
Nicht selten kritisieren Unternehmen die Ausschreibungspraxis Baubereich. Die öffentliche Hand ist durch das deutsche Vergaberecht gezwungen, den wirtschaftlichsten Anbieter zu beauftragen. Häufig wird nach dem niedrigsten Preis entschieden. Aber der niedrigste Preis allein ist nicht immer langfristig wirtschaftlich. Da durch die Vergabepraxis Fehlanreize gesetzt werden, möglichst jedes Schlupfloch zu nutzen, um einen Nachtrag zu generieren, werden Bauvorhaben häufig deutlich teurer als geplant.
Spielräume für Zuschlagskriterien
Mit den Praxisfolgen des geltenden Vergaberechts bestens vertraut ist Katja Gnittke, die bei der Berliner Kanzlei WMRC als Fachanwältin auf diesem Gebiet tätig ist. Nach § 127 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) sei der Zuschlag grundsätzlich auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen – und dieses leite sich aus dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis ab. »Es gibt Spielräume für Zuschlagskriterien, die über eine vergleichende Bewertung anhand des Preises hinausgehen. So können auch qualitative, umweltbezogene und soziale Gesichtspunkte herangezogen werden. Hier bestimmt der Auftraggeber, welche Kriterien zur Ermittlung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses entscheidend sind.«
Zugänglichkeit, Ästhetik und Umwelt berücksichtigen
Näher ausgestaltet werden die Zuschlagskriterien in § 58 Abs. 2 VgV, 43 UVgO und § 16 bzw. § 16 EU VOB/A. Katja Gnittke zählt eine ganze Reihe von Punkten auf, die neben der Qualität/dem technischen Wert auch Kriterien wie Ästhetik oder soziale, umweltbezogene und innovative Eigenschaften betreffen. Sind die Leistungen für Menschen mit Behinderungen zugänglich? Werden die Anforderungen im Hinblick auf das »Design für Alle« erfüllt? Wie steht es mit Vertriebs- und Handelsbedingungen, der Verfügbarkeit von Kundendienst und technischer Hilfe sowie den Lieferbedingungen (Liefertermin, -verfahren sowie Liefer- und Ausführungsfristen)?
Pluspunkte für Effizienz
Laut Katja Gnittke kann der Auftraggeber sogar Festpreise oder Festkosten vorgeben. Dann finde der Wettbewerb nur über andere Kriterien statt. Wichtig sei, dass der Beschaffer Zuschlagskriterien für das einzelne Vergabeverfahren bestimmt. Die Kriterien müssen eine Verbindung zum Auftragsgegenstand haben, Kriterien dürften sich z.B. nicht auf die Unternehmenspolitik beziehen. Die Bestimmung der Zuschlagskriterien ist für die Fachanwältin ein Wechselspiel zwischen Mindestanforderung und dem Mehrwert, der sich aus dem Angebot ergibt. In der Ausschreibung darf u. a. eine maximale Ausführungsfrist vorgegeben werden. Wer effizient plant und infolgedessen eine kürzere Ausführungs- frist anbietet, kann Pluspunkte sammeln.
Mit Erfahrung punkten
Als Vergleichskriterium kann auch die Organisation, Qualifikation und Erfah- rung des Personals herangezogen werden. Katja Gnittke: »Das ist dann von Bedeutung, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann.« Klassischerweise bezieht sich dieser Themenkomplex auf die Vergabe von freiberuflichen Leistungen. Aus Sicht der Fachanwältin spricht einiges dafür, dass dies z. B. bei besonderen Restaurierungsleistungen begründet werden kann. Bei Bauleistungen sei der Einfluss des Personals auf das Niveau der Auftragsausführung nur bei besonderen Leistungen anzunehmen. Wird eine innovative Methode angewandt? Liegt der Schwerpunkt auf einer ästhetisch hochwertigen Ausführung? Bei landschaftsgärtnerischen Arbeiten sowie Erd- und Pflasterarbeiten sei die angestrebte Qualität durch die Berufsausbildung vorgegeben. Man nehme an, dass diese unterschiedslos von allen ausreichend ausgebildeten Personen erreicht wird (VK Brandenburg, 23.02.2018, 1/18 unter Berufung auf: von Wietersheim in: Ingenstau/Korbion, Kommentar zur VOB/A, 20. Auflage 2017, § 16d EU VOB/A, Rn. 15).
Qualität ist Definitionssache
Zuschlagskriterien müssen laut Katja Gnittke hinreichend bestimmt, transpa- rent und überprüfbar sein und eine Differenzierung zwischen den Angeboten ermöglichen. »Qualität« beispielsweise sei kein selbsterklärender Begriff. Gnittke rät dazu, ihn auszugestalten und z. B. die Erreichbarkeit eines Projektleiters, den zugesicherten Stundenaufwand oder ein Umsetzungskonzept in den Vergleich der Angebote einzubeziehen. Auch ökologische Gesichtspunkte dürfen in die Zuschlagsentscheidung einfließen. Wie eine solche Modellberechnung aussehen kann, erläutert die Vergabe-Expertin in der Broschüre »Natursteine aus globalen Lieferketten« – Werkstatt Ökonomie (www.woek.de) und bezieht sich unter anderem auf die Transportentfernung zwischen Steinbruch und Baustelle. Katja Gnittke: »Wollen Auftraggeber eine Bewertungsmatrix erstellen, die nicht nur den Preis berücksichtigt, müssen sie Zeit in die Vorbereitung der Ausschreibung investieren. Welche Punkte sind für dieses Projekt wichtig? Sind die Anforderun- gen transparent beschrieben und stehen sie in Verbindung mit dem Auftragsgegenstand? Wenn ja, steht einem rechtssicheren Vergabeverfahren nichts entgegen. Der Aufwand lohnt sich: Bei der Prüfung der Angebote und der Vertragsdurchführung zahlt er sich i. d. R. aus.«
Wunsch und Wirklichkeit
Nicht ganz so zuversichtlich zeigt sich Dipl.-Ing. (FH) Reiner Krug, Geschäfts- führer des Deutschen Naturwerkstein-Verbands (DNV): »Zwar ist es theoretisch möglich, weitere Wertungskriterien einzuführen und dann das wirtschaftlichste Angebot zu werten. Diese Wertungskriterien müssen jedoch in den Vergabeunterlagen, z. B. der Leistungsbeschreibung oder in der Bekanntmachung, angegeben werden.« Laut Krug kommt das in der Praxis sehr selten vor. »Deshalb wird sich ohne rechtlich abgesicherte Weisungen für Vergabestellen nichts verändern.«