21.06.2015
Beitrag von Rechtsanwältin Gnittke im Vergabenavigator 3/14
Der Begriff Erklärungen in § 19 EG Abs. 2 S. 1 VOL/A erfasst auch Angaben über Eigenschaften des angebotenen Produktes, so das Oberlandesgericht (OLG) Celle in einem Beschluss vom 14.01.2014 (13 Verg 11/13). Fehlende Angaben zu Produkteigenschaften in Angeboten können deshalb grundsätzlich nachgefordert werden. Nachgefordert werden können aber nur solche Angaben, die entweder überhaupt nicht eingereicht worden sind oder formale Mängel aufweisen. Der Beschluss zeigt, wie schwierig nach wie vor die exakte Grenzziehung zwischen erlaubter Nachforderung und unzulässigem Nachbessern ist.
Der Sachverhalt
Der Auftraggeber führte ein offenes Vergabeverfahren zur Lieferung, Herstellung und Herbeiführung der Betriebsbereitschaft eines Melderegisters durch. In den Ausschreibungsunterlagen waren verschiedene Anforderungen an die ausgeschriebene Leistung enthalten. Die Eigenschaften der Software mussten die Bieter über Beantwortungen von Fragen im Leistungsverzeichnis beschreiben. Drei Bieter gaben in dem Vergabeverfahren ein Angebot ab.
Bei dem Angebot eines Bieters, der späteren Antragstellerin, ergab sich folgender Sachverhalt: Die Anforderung Nr. 285 in den Vergabeunterlagen lautete:
„Beschreiben Sie die benötigten Server für das Gesamtsystem […], die erforderlich sind, um die Anforderungen dieses Leistungsverzeichnisses zu erfüllen, getrennt nach Produktiv- und Testsystemen mit
a) Anzahl
b) Verwendungszweck
c) CPU/RAM/SAN
d) physikalisch/virtuell/Cluster […]
e) benötigtes Betriebssystem inklusive Versionsangabe
f) benötigte Software inklusive Versionsangabe (ggf. Alternativen). Bevorzugen Sie bitte Produkte laut dem beigefügten Produktkatalog des LSKN.“
Das Angebot des Bieters enthielt zwar eine Antwort zur Anforderung Nr. 285. Diese Antwort beinhaltete aber keine Angaben zur Trennung von Produktiv- und Testsystemen und keine Angaben darüber, welcher Anteil der Server für das Produktivsystem sowie für das Testsystem benötigt werde und welchen Verwendungszweck die Server haben sollten.
Der Auftraggeber teilte dem Bieter mit, dass es bezüglich der Beantwortung zu einer Anforderung Klärungsbedarf gäbe. Es sei nicht möglich, aus der in der Beantwortung im Angebot beiliegenden Skizze die Angaben für die notwendigen Komponenten zu entnehmen. Er bitte daher, eine beigefügte Tabelle zur Aufklärung der Anforderung Nr. 285 auszufüllen.
Dem kam der Bieter nach. Das Angebot wurde dennoch ausgeschlossen. Der Auftraggeber berief sich darauf, aus der Antwort auf die Aufklärungsfrage sei deutlich geworden, dass die ursprüngliche Beantwortung die geforderten Angaben nicht beinhaltet hätten und sich aus der Antwort zur Aufklärungsfrage neue Inhalte ergäben.
Bei dem Angebot eines weiteren Bieters, der späteren Beigeladenen, stellte sich folgendes Problem. Zu der Anforderung Nr. 185 des Leistungsverzeichnisses hatten die Bieter mit „ja” oder „nein” zu antworten, ob, wenn ein sogenannter Gruppenabruf erfolgt, die Personen, zu denen eine Auskunftssperre eingetragen ist, vor der Übermittlung aus der Trefferliste ausgenommen werden.
Bei der Anforderung Nr. 325 mussten die Bieter mit „ja” oder „nein” angeben, ob in der Spiegelregistersoftware eine Funktion für die Vergabe eines landeseinheitlichen Ordnungsmerkmals vorhanden ist. Der betreffende Bieter hatte das Kriterium Nr. 185 gar nicht beantwortet und beim Kriterium Nr. 325 sowohl „ja” als auch „nein” angekreuzt.
Die Vergabestelle forderte diesen Bieter daraufhin auf, die fehlende Angabe eines Kreuzes in den Kästen „ja” oder „nein” bei der Anforderung Nr. 185 nachzureichen. Die Vergabestelle bat das Unternehmen außerdem um Aufklärung zu dem Ankreuzen beider Felder „ja” und „nein” bei der Anforderung Nr. 325. Der Bieter kam dem nach und beantwortete die Anforderung mit „nein”.
Der Auftraggeber teilte dem ersten Bieter, der späteren Antragstellerin, mit, dass beabsichtigt sei, das Angebot auszuschließen und den Zuschlag auf das Angebot des Konkurrenten, der späteren Beigeladenen, zu erteilen. Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit Rügen. Den Rügen half der Auftraggeber nicht ab, sie wurden zurückgewiesen. Daraufhin leitete die Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren ein, mit dem sie sich gegen den Ausschluss des eigenen Angebots und die Zuschlagerteilung auf das Angebot der Beigeladenen wandte.
Nach Akteneinsicht stützte die Antragstellerin den Nachprüfungsantrag auch auf die Angaben im Angebot der Beigeladenen zur Nr. 185 und 325 des Leistungsverzeichnisses und trug vor, die diesbzgl. Aufklärung sei unzulässig gewesen und habe den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt.
Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag zurück. Die Antragstellerin wandte sich dagegen mit der sofortigen Beschwerde und beantragte außerdem die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde zu verlängern.
Die Entscheidung
Die Entscheidung des OLG Celle betrifft den Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde. Der Vergabesenat wies den Antrag zurück.
Das OLG Celle folgt der Argumentation der Antragstellerin nicht. Die sofortige Beschwerde hat nach Ansicht des OLG Celle keine Aussicht auf Erfolg: Das Angebot der Antragstellerin sei zu Recht ausgeschlossen worden, weil es nicht die im Leistungsverzeichnis geforderten Angaben zu den benötigten Servern enthielt. Angebote, die nicht die geforderten oder nachgeforderten Erklärungen enthalten, werden nach der VOL/A ausgeschlossen.
Der Begriff „Erklärungen“ sei weit zu verstehen, so das Gericht, und umfasse auch auszufüllende Formblätter. Daher seien grundsätzlich auch Beschreibungen über die benötigten Server, wie sie nach Anforderung Nr. 285 angegeben werden mussten, erfasst. Wenn sich der Fehler aber erst bei einer inhaltlichen Prüfung, ergäbe, handele es sich nicht um eine fehlende Angabe.
Eine Nachforderungsmöglichkeit bestehe in diesem Fall nicht, weil nur solche Erklärungen und Nachweise nachgefordert werden könnten, die gar nicht vorgelegt wurden. Bei der Vollständigkeitsprüfung habe der Auftraggeber keine inhaltliche Prüfung vorzunehmen. Es bestehe daher ein zwingender Ausschlussgrund und weder eine Nachforderungspflicht noch ein Nachforderungsrecht.Die Gründe, die die Antragstellerin für einen Ausschluss des Angebots der Beigeladenen anführt, überzeugten den Vergabesenat ebenfalls nicht. Es sei mit dem Vergaberecht zu vereinbaren, wenn der Beigeladenen die Möglichkeit gegeben wurde, Antworten, die mit „ja” oder „nein” anzugeben waren, nachzuholen und zwar auch solche, bei denen die Beigeladene gleichzeitig mit „ja“ und „nein“ angekreuzt hatte.
Die Angabe „ja“ oder „nein“ kann nach Ansicht des Gerichts nachgefordert werden und zwar auch dann, wenn sie eine Eigenschaft des angebotenen Produktes betreffe.
Es handele sich um einen Mangel, der im Rahmen einer formalen Prüfung ohne weiteres zu erkennen war. Ohne weitere Begründung legt das OLG Celle zugrunde, das fehlende Kreuz bei den Kästchen „ja“ oder „nein“ betreffe nur ein technisches Detail aber nicht eine inhaltliche Unvollständigkeit. Aus einem Nebensatz ergibt sich, dass das Ankreuzen beider Alternativen „ja“ und „nein“ sogar dann unschädlich ist, wenn die Angabe wertungsrelevant ist; das fehlerhafte Ankreuzen könne sich auf die Vergabe der Wertungspunkte niederschlagen.
Praxishinweise
Die Entscheidung macht die weiterhin bestehenden Unsicherheiten für Auftraggeber und Bieter bezüglich einer Nachforderung von Unterlagen bei unvollständigen Angeboten deutlich.
Auch wenn der Vergabesenat auf die Gleichbehandlung bei dem Umgang mit Nachforderungen abhebt, wird deutlich, wie schwierig die Abgrenzung von gleichen und ungleichen Sachverhalten bei der Einordnung von fehlenden, unvollständigen bzw. formell oder inhaltlich fehlerhaften Angaben ist.
Die Entscheidung unterstreicht die Wertungswidersprüche der aktuellen Rechtsprechung, die bei einem Fehlen von Unterlagen ohne Weiteres und sehr weitgehend von einer Nachforderbarkeit ausgeht, bei einer inhaltlichen Nichterfüllung aber eine Nachforderung ausschließt.
Das OLG Celle differenziert nach den Prüfungsschritten des Auftraggebers. Fehler bzw. fehlende Unterlagen, die bereits bei der Vollständigkeitsprüfung erkennbar seien, könnten durch Nachforderung geheilt werden. Mängel, die erst bei späteren Prüfungsschritten offenbar werden, seien einer Aufklärung hingegen nicht zugänglich.
Diese Differenzierung wird dem Charakter der Nachforderungsmöglichkeit nicht gerecht. Die Nachforderungsmöglichkeit soll dazu dienen, unnötigen Formalismus bei der Prüfung und Wertung der Angebote zu verhindern. Grenzen setzt der Wettbewerbsgrundsatz und nicht der Aufwand der Auftraggeber bei der Prüfung der Angebote!
Welche Mängel bei einer Vollständigkeitsprüfung zu erkennen sind, hängt maßgeblich von der Ausgestaltung der Vergabeunterlagen durch den Auftraggeber ab. Als Abgrenzungsmerkmal zwischen zulässigen Nachforderungen fehlender Erklärungen und unzulässigen nachträglichen Änderungen des Angebotes taugt es nicht.
So werden in Unterlagen bei IT-Ausschreibungen zum Teil Angaben zur Leistung formularmäßig vorweggenommen und müssen nur mit Kreuzchen bestätigt werden, während andere Auftraggeber die Formulierung dem Bieter überlassen.
Gerade hier, wenn auch noch verschiedene Angaben zusammengefasst werden, besteht für die Bieter aber das Risiko, dass Angaben im Angebot unterlassen werden und daher fehlen.
Wenn man, wie das OLG Celle, auch die Angabe zu Produkteigenschaften als nachforderbar ansieht, müssen diese Eigenschaften auch nachgefordert werden können, wenn sich ihr Fehlen erst bei der weiteren Prüfung der Angebote ergibt. Die Grenze dürfte aber immer dann überschritten werden, wenn die Nachforderung wertungserhebliche Angaben betrifft. Dann ist nämlich der Wettbewerb betroffen.