18.01.2016
Das Bauleitplanungs- und Fachplanungsrecht enthält inzwischen vielfältige Regelungen, nach denen Rechtsverstöße im Verfahren oder bei der Entscheidung unbeachtlich sind, nach gewisser Zeit unbeachtlich werden oder wieder geheilt werden können. Das soll zur erhöhten Bestandskraft eigentlich fehlerhafter Pläne und somit zu Planerhaltung beitragen (dazu ausführlich Rude, Planreparatur - Zur Behebung von Fehlern städtebaulicher Pläne). Dem Interesse an höherer Fehlertoleranz seitens der Planer und Vorhabenträger steht das Interesse und ggf. Recht der Betroffenen gegenüber, Verfahrens- und Abwägungsfehler bei der Planung nicht hinnehmen zu müssen. Das BVerfG (Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16.10.2015, - 1 BvR 685/12 -) hat nun eine maßgebliche Vorschrift zur Planerhaltung verfassungsrechtlich bestätigt und ihrer Anwendung zugleich Grenzen gezogen.
Nach dieser Vorschrift sind Mängel bei der Abwägung der von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind (§ 17e Abs. 6 Satz 1 FStrG a.F.). Dieser nachgebildet wurde die nun allgemein für das Planfeststellungsverfahren in Kraft gesetzte wortgleiche Regelung des § 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG. Vorläufer dieser Vorschriften war der bereits seit 1979 im Bauplanungsrecht geltende § 155b Abs. 2 Satz 2 BBauG, der wiederum heute seine Entsprechung in § 214 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB findet.
Der Entscheidung des BVerfG lag ein Fall zu Grunde, in dem ein Grundstückeigentümer den Planfeststellungsbeschluss über den Neubau des 4. Bauabschnitts der Bundesautobahn A 281 angefochten hatte. Infolge der Entscheidung für dieses Verfahren müssen auf der südlichen Weserseite sechs Wohnhäuser, darunter eines des klagenden Grundstückeigentümers, abgerissen werden. Das BVerwG (24.11.2011, 9 A 27.10 – A 281 Wesertunnel) stellte zwar fest, dass der angefochtene Planfeststellungsbeschluss an einem offensichtlichen Abwägungsmangel leide. Die Planfeststellungsbehörde habe das Interesse der Eigentümer am Erhalt ihrer Gebäude, deren Abbruch nur bei einer Ausführungsvariante notwendig sei, verkannt beziehungsweise fehlgewichtet. Dieser offensichtliche Abwägungsmangel führe gleichwohl nicht zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder zur Feststellung von dessen Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit, weil er auf das Abwägungsergebnis nicht von Einfluss gewesen sei. Der Fehler sei nicht ergebnisrelevant gewesen.
Der Grundstückeigentümer machte mit seiner Verfassungsbeschwerde die Verletzung seines Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 GG geltend. Das BVerfG nahm die Beschwerde nicht zur Entscheidung an. Die Regelung zur Unbeachtlichkeit von Fehlern liege innerhalb des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers. Gerade bei Infrastrukturvorhaben müsse er die häufig in Konflikt geratenden Interessen zu einem gerechten Ausgleich bringen: zum einen der Allgemeinheit an einer zügigen und ressourcenschonenden Umsetzung dieser Vorhaben und zum anderen des betroffenen Einzelnen an einem effektiven Rechtsschutz. Es sei im Grundsatz nicht zu beanstanden, wenn es der Gesetzgeber mit den Bestimmungen zur Planerhaltung verhindere, dass jeglicher Fehler zur Aufhebung einer Planungsentscheidung führe und dies vielmehr auf Abwägungsmängel beschränkt werde, die offensichtlich und für das Ergebnis von Einfluss gewesen seien. Gerade bei Planungsverfahren bestehe ein erhebliches und berechtigtes öffentliches Interesse daran, dass diese (regelmäßig zeit- und ressourcenaufwendigen) Verfahren nicht wegen Mängeln aufgehoben und neu durchgeführt werden müssen, die auf das Ergebnis erkennbar keinen Einfluss gehabt haben.
Während damit die gesetzliche Regelung über die Fehlerunbeachtlichkeit für verfassungsgemäß gehalten wurde, stellte das BVerfG zu deren Anwendung jedoch auch klar:
„Die Annahme der Unerheblichkeit eines Abwägungsfehlers auf das Abwägungsergebnis wäre jedenfalls verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbar, wenn die Ergebniskausalität des Fehlers nur dadurch verneint werden könnte, dass das Gericht eine eigene hypothetische Abwägungsentscheidung an die Stelle der Entscheidung durch die Planfeststellungsbehörde setzte…. Die Annahme, dass bei Vermeidung des Abwägungsfehlers keine andere Abwägungsentscheidung ergangen wäre, ist danach nur solange noch gerechtfertigt, solange konkrete Anhaltspunkte dafür nachweisbar sind, dass die Planfeststellungsbehörde gleichwohl die gleiche Entscheidung getroffen hätte. Es genügt hingegen regelmäßig nicht, wenn sich aus den Akten oder sonstigen Erkenntnissen des Gerichts lediglich keine konkreten Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Planfeststellungsbehörde bei Vermeidung des Mangels eine andere Entscheidung getroffen hätte. Denn allein das Fehlen konkreter Anhaltspunkte für eine andere Entscheidung lässt grundsätzlich keinen hinreichend sicheren Rückschluss darauf zu, welches Planungsergebnis ohne den Fehler zustande gekommen wäre.“
Wenn ein Gericht einen Fehler in der Abwägung feststellt, ihn aber nicht für ergebnisrelevant hält, wird es sich an diesen Begründungsanforderungen des BVerfG messen lassen müssen. Das Gericht kann es also nicht dabei bewenden lassen, keine Anhaltspunkte für eine Ergebnisrelevanz des Fehlers gefunden zu haben. Es muss vielmehr konkrete Anhaltspunkte dafür nachweisen können, dass die Planfeststellungsbehörde auch ohne den Abwägungsfehler genau so entschieden hätte wie sie entschieden hat. Im Fall des Wesertunnels hielt das BVerfG die Entscheidung des BVerwG, den Planfeststellungsbeschluss trotz des Abwägungsfehlers nicht aufzuheben und die Klage des betroffenen Grundstückseigentümers abzuweisen, für gerade „noch“ verfassungsgemäß.