19.01.2016
Beitrag von Rechtsanwältin Katja Gnittke im Vergabenavigator 1/16
Artikel 7 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 legt u.a. fest, dass vor einer Direktvergabe von Leistungen im Verkehrsbereich eine Vorabinformation erfolgen muss. Anders als viele Auftraggeber bislang angenommen haben, stellt diese Regelung keine bloße Ordnungsvorschrift dar. Sie ist vielmehr eine rechtsbegründende Voraussetzung für eine Direktvergabe im Verkehrsbereich. Das hat die Vergabekammer Südbayern im Beschluss vom 15.10.2015 (Z 3-3-3194-1-37-06/15) entschieden.
Im Verkehrsbereich, namentlich bei der Vergabe von Leistungen im Bus-, Straßenbahn- und Schienenverkehr, gelten die Sonderregelungen der Verordnung (VO) (EG) Nr. 1370/2007. Nach deren Artikel 7 Abs. 2 ist ein Jahr vor Einleitung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens oder einer Direktvergabe eine Information über den Namen und die Anschrift der zuständigen Behörde, die Art des geplanten Vergabeverfahrens und die von der Vergabe möglicherweise betroffenen Dienste und Gebiete zu veröffentlichen. Zur Rechtsqualität der Vorabinformation hat die VK Südbayern in dem zitierten Beschluss Stellung genommen (zu Direktvergaben im Verkehrsbereich vgl. auch „Ohne Dokumentation keine Direktvergabe“, in diesem Heft, Seite 27).
Eine Kommune veröffentlichte eine Vorabinformation gemäß Art. 7 VO (EG) Nr. 1370/2007 und kündigte die Vergabe von Personenbeförderungsleistungen auf verschiedenen Linien für eine maximal zulässige Genehmigungslaufzeit von 10 Jahren an. Die Möglichkeit einer Vergabe von Unteraufträgen wurde verneint. Punkt VI.1.2 der Vorabinformation enthielt den Hinweis nach § 12 Abs. 6 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG):
„Verkehrsunternehmen können innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Veröffentlichung der Vorab-Bekanntmachung einen Antrag auf Genehmigung einer „eigenwirtschaftlichen“ Verkehrsleistung mit Kraftfahrzeugen im Linienverkehr beantragen. Eigenwirtschaftliche Anträge können sich nach der Vorabinformation nur auf die Gesamtleistung, nicht aber auf Teilleistungen beziehen.“
Ein Verkehrsunternehmen, die spätere Antragstellerin, rügte die beabsichtigte Direktvergabe:
Nach Nichtabhilfe der Rüge stellte das Verkehrsunternehmen einen Nachprüfungsantrag. Die Kommune trat dem Nachprüfungsbegehren mit der Argumentation entgegen, das Vergabeverfahren sei noch gar nicht eingeleitet und befinde sich aufgrund der Veröffentlichung der Vorabinformation kraft gesetzlicher Anordnung durch Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 in einem Vorverfahrensstadium. Die Voraussetzungen für eine Direktvergabe würden rechtzeitig vorliegen.
Der Nachprüfungsantrag hatte Erfolg.
Zunächst stellt die Vergabekammer klar, dass die Stadt nicht als Sektorenauftraggeberin handelt. Die bloße Organisation von Verkehrsleistungen macht die Antragsgegnerin nicht zu einem Sektorenauftraggeber. Die Antragsgegnerin sei als öffentliche Auftraggeberin im Sinne von § 98 Nr. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) zu bewerten, da sie den örtlichen Busverkehr für ihre Bevölkerung organisiert, ihn aber nicht selbst erbringt.
Ob es sich um einen Auftrag oder um eine Dienstleistungskonzession handele und ob die Voraussetzungen einer Inhouse-Vergabe vorliegen, ist für die Zuständigkeit der Vergabekammer irrelevant. Die europarechtlich unterschiedlichen Grundlagen – im Fall eines Auftrags Vergaberecht-Rechtmittelrichtlinie 89/665/EWG in der Fassung der Richtlinie 2007/66/EG und im Fall der Konzession Art. 5 Abs. 7 VO (EG) Nr. 1370/2007) – führen in Deutschland nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen. Sollte es sich um einen Dienstleistungsauftrag handeln, ergäbe sich die Zuständigkeit aus § 102 GWB, bei einer Dienstleistungskonzession aus einer analogen Anwendung des § 102 GWB.
Die Antragstellerin müsse die geplante Direktvergabe nicht abwarten, um einen Nachprüfungsantrag zu stellen. Das Vergabeverfahren mit dem Ziel der Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 beginne bereits mit der europaweiten Bekanntmachung der Vorabinformation: Eine rechtmäßige Direktvergabe setze eine Veröffentlichung ein Jahr zuvor voraus.
Die geplante Direktvergabe an eine Konkurrentin der Antragstellerin (die Beigeladene) sei schon deshalb zu untersagen, weil die Antragsgegnerin als zuständige Behörde keine vergaberechtskonforme Vorab-Bekanntmachung im Sinne des Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 veröffentlichen konnte. Eine von einer unzuständigen Behörde veröffentlichte Vorabinformation sei vergaberechtswidrig. Gemäß Art. 2 b und c VO (EG) Nr. 1370/2007 sei zuständige örtliche Behörde „jede Behörde (…), die zur Intervention im öffentlichen Personenverkehr in einem bestimmten geografischen Gebiet befugt ist oder jede mit einer derartigen Befugnis ausgestattete Einrichtung“ unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass sich deren geografischer Zuständigkeitsbereich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt.
Vor einer Übertragung der Aufgabenträgerschaft verfüge die Kommune nicht über eine solche Interventionsbefugnis. Diese richte sich nach den Zuständigkeitsregeln des jeweiligen Mitgliedstaates.
Allein die Tatsache, dass die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der Vorab-Bekanntmachung Miteigentümerin eines kommunalen Unternehmens im Bereich des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) war, mache sie aufgrund der spezielleren Vorschriften des Art. 8 Abs. 1 und 2 des bayerischen Gesetzes über den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV-Gesetz) nicht zur zuständigen Behörde im Sinne von Art. 2 b VO (EG) Nr. 1370/2007 bzw. des § 8a Abs. 2 S. 2 PBefG.
Das bayerische ÖPNV-Gesetz ermögliche eine Übertragung von Aufgaben von den Landkreisen auf die kreisangehörigen Gemeinden oder ihre Zusammenschlüsse durch Rechtsverordnung der Landkreise (Art. 9 Abs. 1 und 2 bayerisches ÖPNV-Gesetz).
Im konkreten Fall sei über die Voraussetzungen weder zum Zeitpunkt der Vorabinformation noch zum Entscheidungszeitpunkt der Vergabekammer entschieden gewesen. Es fehle an der notwendigen Manifestation des Übertragungswillens der zuständigen Behörde.
Die Vorabinformation gemäß Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 bzw. § 8a Abs. 2 S. 2 PBefG müsse von der zuständigen Behörde veröffentlicht werden. Dies werde mindestens durch § 8a Abs. 2 S. 2 PBefG klargestellt. Die Angabe des Auftraggebers sei keine bloße Formalität, weil insbesondere die Voraussetzungen einer Direktvergabe nicht nur formell, sondern auch materiell von Art und Identität des Auftraggebers abhängen. Die vorliegende Vorabinformation könne also die beabsichtigte Direktvergabe nicht ermöglichen.
Darauf ob im Übrigen die Voraussetzungen einer Direktvergabe (geeigneter interner Betreiber, Kontrollkriterium, Selbsterbringungsquote, räumliches Zuständigkeitsgebiet) vorliegen, kommt es nach der Vergabekammer Südbayern nicht mehr an. Die Verletzung des Vergaberechts ergibt sich bereits aus der unrichtigen Vorabinformation und der vorzeitigen Herausnahme des Auftrags aus dem Wettbewerb.
Art. 7 VO (EG) Nr. 1370/2007 stelle im Lichte des Gemeinschaftsrechts keine bloße Ordnungsvorschrift dar, betont die Kammer, sondern eine zwingende Formvorschrift, auf deren Einhaltung sich die Antragstellerin gemäß § 97 Abs. 7 GWB berufen könne.
Bei Direktvergaben im Verkehrsbereich beginne, so die Vergabekammer, das Vergabeverfahren bereits mit der Veröffentlichung der inhaltlich bestimmten und bindenden Vorabinformation gemäß Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007. Sie unterscheide sich wesentlich von einer Vorinformation nach § 15 EG Abs. 6 f. VOL/A, die freiwillig und unverbindlich sei und lediglich zu einer Verkürzung der Fristen führen könne. Die Veröffentlichung nach Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 stelle hingegen eine rechtsbegründende (konstitutive) Voraussetzung für eine spätere Direktvergabe dar.
Dem stehe nicht entgegen, dass bei Direktvergaben ohnehin kein Wettbewerb stattfände und somit das Transparenzgebot seinen wettbewerbsfördernden Zweck verlöre. Ein Zweck der Vorabveröffentlichung sei vielmehr, gerade auch bei beabsichtigter Direktvergabe, ein rudimentäres Wettbewerbselement einzuführen: Wettbewerber könnten mit einem informell unterbreiteten günstigen Angebot versuchen, die zuständige Behörde doch noch von ihrer ursprünglichen Direktvergabeabsicht abzubringen. Zudem löse die Vorabveröffentlichung die Fristen für die Stellung eigenwirtschaftlicher Anträge nach § 12 Abs. 6 PBefG aus.
Die Vorabinformation nach Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 wurde von Auftraggebern vielfach als reine Ordnungsvorschrift angesehen. Die aktuelle Entwicklung in der vergaberechtlichen Spruchpraxis mahnt diesbezüglich zu Vorsicht. Bereits im August diesen Jahres hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/Main es zumindest als möglich angesehen, einen Vertragsschluss vor Ablauf der Jahresfrist nach der Veröffentlichung der Vorabinformation als Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot und damit als Grund für die Nichtigkeit eines Vertrages nach § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) anzusehen (Beschluss v. 6.8.2015, 11 Verg 7/15, 11 Verg 8/15).
Aus Sicht der Bieter ist die höhere Bedeutung einer Vorabinformation zu begrüßen. Bieter müssen allerdings auch Folgendes beachten: Beginnt bereits mit der Veröffentlichung der Vorabinformation die Beschaffung – wofür bei einer konstitutiven Voraussetzung einiges spricht – müssen Bieter die beabsichtigte Direktvergabe auch bereits auf Basis der Vorabinformation rügen und gegebenenfalls einen Nachprüfungsantrag stellen (OLG München, Beschluss v. 20.6.2011, Verg 6/11; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 2.3.2011, VII Verg 48/10).
Aufgrund des langen Vorlaufs der Vorabinformation (ein Jahr vor Beginn des wettbewerblichen Verfahrens oder der Direktvergabe) wird es in der Praxis voraussichtlich weiterhin nicht wenige Berichtigungen und Anpassungen von Vorabinformationen geben, die die Frage aufwerfen, ob aufgrund der Reichweite der Veränderungen die Jahresfrist neu beginnen muss, um eine rechtmäßige und konstitutive Voraussetzung für die Direktvergabe zu schaffen.