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22.06.2015, aktualisiert 16.07.2015

Stand der Modernisierung 
Am 08.Juli hat das Bundeskabinett den Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts verabschiedet, mit dem der vierte Teil des GWB wesentlich geändert wird. Das Gesetz dient der Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien 2014, die bis zum 18. April 2016 erfolgen muss. Im Gesetzgebungsprozess ist durchaus noch mit Änderungen zu rechnen. Die Entwürfe für die Vergabeverordnung und die neue Konzessionsvergabeverordnung werden im Laufe des Jahres erwartet.

Strukturelle Änderungen, wesentliche Ziele
Viele Regelungen, die vorher nur in den Vergabe- und Vertragsordnungen VOB/A-EG, VOL/A-EG und VOF enthalten waren, werden auf die Ebene des GWB „hochgezont“. Der 4. Teil des GWB enthält nun auch Regelungen zum Ablauf des Vergabeverfahrens von der Leistungsbeschreibung und Festlegung besonderer Bedingungen für den Auftrag über die Prüfung bestimmter Ausschlussgründe und der Eignung bis hin zu der Festlegung und Anwendung der Zuschlagskriterien. Gänzlich neu sind Regelungen zur Auftragsänderung und Kündigung. Außerdem regelt der 4. Teil des GWB neuerdings auch die Vergabe von Konzessionen, für die auf EU-Ebene eine neue Richtlinie geschaffen wurde. Sie sind in einem eigenen Abschnitt geregelt, ebenso wie die Vergabe von Aufträgen durch Sektorenauftraggeber einerseits und die Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen andererseits. Ergänzend zum 4. Teil des GWB sollen künftig die bisherigen Verordnungen (VgV, SektVO, VSVgV) und eine neu zu schaffende Verordnung über die Konzessionsvergabe sowie die VOB/A-EG bestehen bleiben. VOL/A-EG und VOF sollen in der VgV aufgehen.

Ein erklärtes Ziel war die Stärkung von Handlungsspielräumen für die Auftraggeber. Es sind verschiedene nach der Rechtsprechung bestehende Ausnahmen vom Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts ausdrücklich geregelt worden und auch neue geschaffen worden, größere Freiheiten bei der Wahl der Verfahrensart und für die Nutzung von Auftragsvergaben zur Verfolgung strategischer Ziele geschaffen worden. Vergabeverfahren werden künftig grundsätzlich elektronisch abzuwickeln sein (§ 97 Abs. 5 GWB RegE).

Unterschwellenvergaben
Die Bundesregierung will erst nach Umsetzung der EU-Richtlinien den Anpassungsbedarf für den Bereich der Vergaben unterhalb der Schwellenwerte prüfen. Das bedeutet, dass in diesem Bereich jedenfalls über einen gewissen Zeitraum teilweise strengere Regelungen bestehen, als oberhalb der Schwellenwerte, etwa bei der Wahl der Verfahrensart. Auch wird sich dann die Struktur des Vergaberechts oberhalb und unterhalb der Schwellenwerte noch mehr unterscheiden. Eine Vereinfachung und Transparenz liegen hierin nicht.

Ausnahmen vom Vergaberecht/Vorbehalt von Aufträgen
Als Ausnahmen vom Vergaberecht erstmals ausdrücklich geregelt sind nun das Inhouse-Geschäft und die öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit. Auftragnehmer sind nach der Regelung in § 108 GWB RegE künftig auch dann noch inhouse-fähig, wenn nur bis zu 80 % ihrer Tätigkeit der Ausführung von Aufgaben dient, mit denen sie vom Auftraggeber (oder von einer anderen von diesem kontrollierten Person) betraut wurden. Die Rechtsprechung verlangt hier bislang eher 90 %. Klargestellt ist – was bislang strittig ist -, dass ein Inhouse-Geschäft auch möglich ist, wenn ein Tochterunternehmen einen Auftrag an sein Mutter-, Schwester- oder Enkelunternehmen vergibt.

Verträge zwischen mehreren öffentlichen Auftraggebern (öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit) sind dann vergabefrei, wenn sie erstens eine Zusammenarbeit begründen, um sicherzustellen, dass die von ihnen zu erbringenden öffentlichen Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden, zweitens die Durchführung der Zusammenarbeite ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt wird und drittens die öffentlichen Auftraggeber auf dem offenen Markt weniger als 20 % der Tätigkeiten erbringen, die durch die Zusammenarbeit erfasst sind.

Als weitere neue Ausnahme vom Anwendungsbereich ist die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen zu Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr geregelt worden, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden, z. B. Dienstleistungen der Feuerwehr, Rettungsdienste und der Einsatz von Krankenwagen mit Ausnahme des Einsatzes zur Patientenbeförderung (§ 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB RegE, s. dazu näher den Beitrag Rettungsdienst: Ausnahme vom Vergaberecht).

Öffentlichen Auftraggebern wird in § 118 GWB RegE ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, das Recht zur Teilnahme an Vergabeverfahren geschützten Werkstätten und Unternehmen vorbehalten, deren Hauptzweck die soziale und berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen oder von benachteiligten Personen ist oder bestimmen, dass öffentliche Aufträge im Rahmen von Programmen mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen durchzuführen sind.

Neue Freiheiten bei der Wahl der Verfahrensart
Künftig soll öffentlichen Auftraggebern das offene und das nicht offene Verfahren (in Letzerem können nur zuvor in einem Teilnahmewettbewerb ausgewählten Unternehmen ein Angebot abgeben) zur freien Wahl zur Verfügung stehen (§ 119 Abs. 2 GWB RegE). Für die Vergabe von Aufträgen über soziale und andere, aufgezählte besondere Dienstleistungen kann aus allen Verfahren außer dem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb frei gewählt werden (§ 130 GWB RegE). Dasselbe gilt für die erstmals im GWB geregelten öffentlichen Aufträge über Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr (§ 131 GWB RegE). Zur Entwicklung innovativer Leistungen ist als neues Verfahren die sog. Innovationspartnerschaft vorgesehen (§ 119 Abs. 7 GWB RegE).

Rahmenvereinbarungen
Rahmenvereinbarungen sind in § 103 Abs. 5 GWB RegE geregelt, womit gesetzlich klargestellt ist, dass dieses derzeit nur in der VOL/A ausdrücklich geregelte Instrument künftig auch im Bereich der freiberuflichen Leistungen und Bauleistungen Anwendung finden kann.

Normierung von Ausschlussgründen
Bei der Normierung zwingender Ausschlussgründe in § 123 GWB RegE fällt auf, dass der Ausschluss eines Unternehmens, das seinen Verpflichtungen zur Zahlung von Steuern, Abgaben und Beiträgen zur Sozialversicherung nicht nachgekommen ist, künftig zwingend sein soll 7außer bei einer Nachholung der Pflichterfüllung). Bisher ist er in das Ermessen des Auftraggebers gestellt. Nach der Neufassung kann von einem Ausschluss allenfalls aus zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses oder bei offensichtlicher Unverhältnismäßigkeit abgesehen werden.

Neu ist ein fakultativer Ausschlussgrund für Projektanten (Unternehmen, die bereits in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens einbezogen waren), wenn eine hieraus resultierende Wettbewerbsverzerrung nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen beseitigt werden kann (§ 124 Nr. 6 GWB RegE). Bleibt es bei der Formulierung, wird sich in der Praxis die Frage stellen, ob bei bestehender Wettbewerbsverzerrung der Ausschluss tatsächlich fakultativ sein kann, also im Ermessen des Auftraggebers stehen soll.

Ebenfalls neu ist ein fakultativer Ausschlussgrund für Unternehmen, die eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt haben, wenn dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Damit werden erstmals Voraussetzungen für einen Ausschluss wegen Unzuverlässigkeit aufgrund früherer Vertragserfüllung normiert. Mit der Voraussetzung, dass es zu einer der genannten schweren Rechtsfolgen gekommen ist, ist die Hürde für einen Ausschluss recht hoch gesetzt worden. Für die Auftraggeber wird sich die Frage stellen, ob sie Bieter mit unzufriedenen Referenzgebern, die jedoch nicht eine der genannten Sanktionen ergriffen haben, sehenden Auges beauftragen müssen.

Änderung und Kündigung von Aufträgen
Eine Neuerung ist auch die ausdrückliche Regelung zu Änderungen eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit in § 132 GWB RegE. Wesentliche Änderungen erfordern ein neues Vergabeverfahren – dies entspricht dem bisherigen Recht. Neu ist die ausdrückliche Regelung, wann eine wesentliche Änderung insbesondere vorliegt. Es werden zudem verschiedene Fallkonstellationen der Vertragsänderung ausdrücklich von der Notwendigkeit der Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens ausgenommen, u. a. der praktisch relevante Fall der Ersetzung des bisherigen Auftragnehmers durch einen neuen im Zuge einer Unternehmensumstrukturierung. So wird in diesem Bereich mehr Rechtssicherheit geschaffen. Im Entwurf sind nunmehr auch einige Kündigungsgründe für vergebene Aufträge geregelt (§ 133 GWB RegE), etwa der Fall, dass der EuGH in einem Vertragsverletzungsverfahren feststellt, dass der Auftrag vergaberechtswidrig erteilt wurde. Bislang bestand große Unsicherheit, wie in einem solchen Fall verfahren werden kann.

Nachprüfungsverfahren: Rügeobliegenheit; Kosten
Im Bereich der Regelungen zum Nachprüfungsverfahren ist neu, dass an die Stelle der Obliegenheit zur unverzüglichen Rüge die Obliegenheit tritt, einen erkannten Verstoß binnen zehn Kalendertagen zu rügen. Es bleibt dabei, das aufgrund der Bekanntmachung oder der Vergabeunterlagen erkennbare Verstöße spätestens bis zum Ablauf der Angebots- oder Bewerbungsfrist zu rügen sind. Im Fall der Rücknahme des Nachprüfungsantrags soll künftig nicht mehr automatisch der Antragsteller die Kosten zu tragen haben, sondern die Vergabekammer soll eine Entscheidung nach billigem Ermessen zu treffen haben.