23.09.2019
Seit Oktober 2018 ist oberhalb der Schwellenwerte die E-Vergabe Pflicht. Die öffentlichen Auftraggeber nutzen verschiedene Vergabeplattformen kommerzieller oder staatlicher Anbieter, um die Vergabe elektronisch abzuwickeln. Die Praxis zeigt, dass hier noch erhebliche Fallstricke lauern. Fehler der Vergabeplattformen sind den Auftraggebern zuzurechnen, sind also Vergabefehler (Roßnagel/Paul, Die Nutzung privater Vergabeplattformen durch öffentliche Auftraggeber, VergabeR 2007, S. 313 ff., S. 319).
Zunächst ist zu beachten, dass die Bieter in ausreichender Weise über die Funktionsweise der Vergabeplattform zu informieren sind. Das wird besonders dort relevant, wo Informationen der Vergabeplattform selbst unzureichend oder missverständlich sind.
Gemäß § 11 Abs. 3 VgV muss der öffentliche Auftraggeber den Unternehmen alle notwendigen Informationen zur Verfügung stellen über 1. die in einem Vergabeverfahren verwendeten elektronischen Mittel, 2. die technischen Parameter zur Einreichung unter anderem von Teilnahmeanträgen und Angeboten mithilfe elektronischer Mittel und 3. verwendete Verschlüsselungs- und Zeiterfassungsverfahren. Bieter sollten informiert werden über die technischen Voraussetzungen, die bei ihnen erfüllt sein müssen, über die Verwendung der elektronischen Vergabeplattform („Betriebsanleitung“), die Bedienung sowie Aktualisierung der Software sowie, falls bei bestimmten Web-Browsern oder technischen Einstellungen Probleme auftreten, auch über diese und darüber, wie diese verhindert werden können (Schimanek, Anforderungen an den Einsatz elektronischer Mittel im Vergabeverfahren, AnwZert BauR 6/2019 Anm. 1). Die Verwendung elektronischer Mittel darf nicht zu Verwirrung und Missverständnissen bei den Teilnehmern führen (Schimanek, a.a.O.).
Ein Beispiel aus der Praxis für einen Bieter-Fallstrick: Eine Vergabeplattform sah unterschiedliche Eingabefelder für die allgemeine Kommunikation und Teilnahmeanträge vor, hob den Unterschied jedoch nicht deutlich hervor. So lud ein Bieter seinen Teilnahmeantrag im allgemeinen Kommunikationsfeld hoch. Dort besteht, anders als beim Hochladen unter dem Feld „Teilnahmeanträge“, eine sofortige Zugriffsmöglichkeit des Auftraggebers auf den Antrag. Der Bieter musste deshalb ausgeschlossen werden (VK Niedersachsen, Beschl. v. 11.12.2018, VgK-50-2018). So können dem Auftraggeber durch eine ungünstig gestaltete Vergabeplattform gut geeignete, erwünschte Bieter verloren gehen.
Praxistipp: Die Auftraggeber sollten prüfen, auf welche auf der Vergabeplattform ggf. bereits vorhandenen Informationen sie verweisen können und worüber sie eigenständig in den Vergabeunterlagen zu informieren haben. Sie sollten unbedingt über Fallstricke informieren, die aufgrund einer ungünstig, möglicherweise auch vergaberechtswidrig gestalteten Vergabeplattform für die Bieter auftreten können. Dafür ist es wichtig, sich mit der Vergabeplattform und den dort erhältlichen Informationen vertraut zu machen.
Bei der Nutzung von Vergabeplattformen ist darauf zu achten, dass ein wirksamer und dauerhaft nachweisbarer Zugang wichtiger Kommunikation gewährleistet ist.
Zugang ist das Gelangen in den Machtbereich des Empfängers mit der tatsächlichen Möglichkeit zur Kenntnisnahme unter normalen Verhältnissen. Erfolgt die Kommunikation über ein Vergabe-Portal, lässt sich u. E., ähnlich wie bei einem Postfach, davon ausgehen, dass Zugang nach Einstellung auf dem Portal zum Zeitpunkt des üblichen Abruftermins, spätestens mit dem tatsächlichen Abruf erfolgt.
Der Auftraggeber muss den Zugang nachweisen können. Einige Vergabeplattformen überschreiben schon nach kurzer Zeit Daten und erlauben so keine Rückverfolgung des erfolgten Versands von Nachrichten über die Einstellung neuer Dokumente auf der Plattform mehr. Teils können Auftraggeber nicht selbst nachverfolgen, ob Bieter eine Nachricht tatsächlich heruntergeladen haben.
Kann die Vergabestelle den Zugang von Informationen nicht nachweisen, geht das zu ihren Lasten (VK Bund, Beschl. V. 03.02.2014, VK 2-1/14). Wenn die Kommunikation im Vergabeverfahren nicht mehr nachweisbar ist, verstößt dies außerdem gegen Dokumentationspflichten, ferner gegen den Grundsatz der Verfahrenstransparenz (so Roßnagel/Paul, die Nutzung privater Vergabeplattformen durch öffentliche Auftraggeber, Vergaberecht 2007, Seite 313 ff., Seite 319).
Praxistipp: Der Auftraggeber sollte vor Nutzung der Vergabeplattform die Möglichkeit prüfen, den Zugang von Benachrichtigungen nachzuvollziehen und dauerhaft nachzuweisen. Ist dies nicht gewährleistet, sollte der Auftraggeber auf andere Weise für einen nachweisbaren Zugang der Kommunikation sorgen, etwa durch Versand per Fax gegen Empfangsbekenntnis oder E-Mail gegen Lesebestätigung.
Ein Fallbeispiel aus unserer Praxis für Zugangsprobleme bei der Kommunikation über die Vergabeplattform: Auf einer der üblicherweise genutzten Vergabeplattformen werden Aufforderungen zur Abgabe eines Angebots auf kaum wahrnehmbare Weise zum Abruf bereitgestellt. Das zieht den wirksamen Zugang in Zweifel und kann das gesamte Vergabeverfahren gefährden, wenn der betroffene Bieter die Angebotsfrist versäumt und sich später auf fehlenden Zugang beruft.
Die Aufforderungen werden unter Reitern hinterlegt, die irreführend bezeichnet sind („Einladungen“) und ohne ersichtlichen Hinweis darauf, dass ein neues Dokument unter dem Reiter hinterlegt ist. Automatisch generierte E-Mails zum Hinweis auf die Aufforderung werden nicht an die für den Bearbeiter des Vergabeverfahrens angegebene E-Mail-Adresse gesandt, sondern an die zur Verwaltung des Firmenprofils hinterlegte allgemeine Mailadresse des Unternehmens und gehen dort dann ggf. unter, weil er Bieter nicht darauf eingestellt ist, dass hier Post zur Vergabe eingeht.
Gerade bei der Nutzung moderner Kommunikationsmittel setzt die Erwartbarkeit der Kenntnisnahme aber voraus, dass der Empfänger mit einer Erklärung auf diesem Weg rechnen musste (Erman-Arnold, BGB, 15. Aufl. 2017, § 130, Rn. 9). Das dürfte bei Versand über eine nur für die Profilverwaltung angegebene E-Mail-Adresse nicht der Fall sein (s. u. VK Thüringen).
Praxishinweis: Hier bieten sich bis zur Fehlerbehebung bei der Vergabeplattform nicht nur gesonderte Hinweise für die Bieter in den Vergabeunterlagen an, sondern die Bieter sollten vorsorglich eigenständig direkt über die Bearbeiter-Mailadresse benachrichtigt werden.
Auch bei Einstellung von Bieterinformationen auf der Plattform ist Vorsicht geboten. Es muss stets bei dem einmal angegebenen Kommunikationsweg geblieben werden, bis für alle Bieter eine transparente andere Regelung getroffen wird (VK Thüringen, Beschl. v. 25.04.2019, 250-4002-11352/2019-N-006-EF, VK Bund, Beschl. v. 20.12.2017, VK 2-142/17).) Ein Bieter muss nicht damit rechnen, dass der Auftraggeber ihn auf einem von ihm nicht eröffneten Kommunikationsweg kontaktiert, mit der Folge, dass kein Zugang erfolgt und keine Fristen in Gang gesetzt werden (VK Bund, a. a. O.).
Sieht die Vergabeplattform keine Benachrichtigungs-Mail über die Einstellung von Bieterinformationen auf der Plattform vor, müssen Bieter außerdem zumindest dann gesondert benachrichtigt werden, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sie Änderungen nicht zur Kenntnis nehmen, weil sie beispielsweise bereits ihren Teilnahmeantrag oder ihr Angebot hochgeladen haben (VK Südbayern, Beschl. v. 17.10.2016, Z3-3-3194-1-36-09/16). Die VK Südbayern erwägt unter Bezugnahme auf die Begründung des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes sogar eine generelle Pflicht, registrierte Bieter automatisch gesondert zu informieren und bei diesen keine „Holschuld“ anzunehmen.
Nicht zu empfehlen ist derzeit der alleinige Versand von Vorabinformationen nach § 134 GWB über die Vergabeplattform. Die VK Südbayern hat für ein Vorabinformationsschreiben nach § 134 GWB die Einstellung in das Vergabeportal trotz Hinweis-Mail generell nicht ausreichen lassen, um eine wirksame Information anzunehmen (VK Südbayern, Beschl. v. 29.03.2019, Z3-3-3194-1-07-03/19). Damit erfolgt mit dem Zuschlag noch kein wirksamer Vertragsschluss, sondern die Vergabe bleibt vorerst weiter angreifbar.
Die Vergabekammer bezog sich zur Begründung (neben allgemeinen Zweifeln am Zugang auf Internet-Plattform) darauf, dass für die Vorabinformation nach § 134 GWB ausdrücklich Textform vorgeschrieben sei, die allenfalls bei Verkörperung der Nachricht durch – im konkreten Fall nicht erfolgten – tatsächlichen Download erfüllt gewesen wäre. Teilweise wird auch die Auffassung vertreten, Textform sei gegeben, die Einstellung auf der Plattform genüge jedoch dem Merkmal „Absendung“ nach § 134 GWB nicht (Wagner, Aktuelle Entscheidungen zur eVergabe, VergabeFokus 2019, 15 ff., 16).
Praxistipp:
Vorinformationen sollten grundsätzlich per Fax oder E-Mail, jeweils gegen Empfangsbekenntnis/Lesebestätigung versandt werden, und dies sollte vorab in den Vergabeunterlagen entsprechend angekündigt und eine Fax-Nummer für die Kommunikation abgefragt werden.
Aus Bietersicht ist Vorsicht geboten bei Schwierigkeiten mit dem Hochladen von Angeboten. Hier sollte in jedem Fall schnellstmöglich die Vergabestelle informiert werden. Technische Fehler bei der Plattform gehen zu ihren Lasten; sie hat erforderlichenfalls Fristverlängerungen zu gewähren (OLG München, Beschl. v. 25.03.2019, Verg 10/18). Bei technischen Problemen bei der Abgabe von elektronischen Angeboten muss der Auftraggeber zumindest prüfen, ob eigenes Organisationsverschulden vorliegt (VK Münster, Beschl. v. 20.02.2019, VK 1-40/18). Liegen die technischen Schwierigkeiten hingegen beim Bieter, geht dies zu seinen Lasten (OLG München, a. a. O.). Demnach kann in solchen Fällen unter Umständen eine Fristverlängerung beim Auftraggeber erreicht werden. Landet Kommunikation im Spamordner des Bieters, geht das ebenfalls zu seinen Lasten (VK Bund, Beschl. v. 14.05.2018, VK 2-40/18).