16.09.2015
Kammergericht: Korrektur der FFV-Erklärung möglich.
Nach § 16 EG Abs. 2 Satz 1 VOL/A kann der öffentliche Auftraggeber im Vergabeverfahren fehlende Erklärungen und Nachweise von den Bietern nachfordern. Im Bereich von Bauvergaben sind Auftraggeber hierzu gemäß § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 VOB/A sogar verpflichtet. Nach der Rechtsprechung sind aber jeweils nur entweder gänzlich körperlich fehlende Dokumente oder solche nachforderbar, die nur formelle Mängel oder solchen gleichkommende inhaltliche Unzulänglichkeiten aufweisen. Inhaltliche Mängel vorhandener Erklärungen können im Wege der Nachforderung hingegen nicht korrigiert werden. Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein.
Das gilt z.B. für den Fall, dass eine Gesamterklärung körperlich vorhanden ist, in ihr jedoch Einzelangaben fehlen. Die VK Sachsen-Anhalt hatte jetzt einen Fall zu entscheiden, in dem der Bieter in einem Formular „Beachtung der Kernarbeitsnormen der internationalen Arbeitsorganisation“ bei der Ja-/Nein-Frage, ob die bei der Leistung verwendeten Materialien aus Entwicklungsländern stammen, kein Kreuz gesetzt hatte (Beschluss vom 20.05.2015, 2 VK LSA 2/15). Das fehlende Kreuz ordnet die 2. VK Sachsen-Anhalt den Mängeln zu, die durch Nachforderung behoben werden können. Auch eine von den Bietern abgeforderte Einzelangabe innerhalb eines vorgegebenen Dokuments stelle rein sprachlich eine Erklärung dar. Durch die Norm zur Nachforderung solle erkennbar verhindert werden, dass Angebote aufgrund kleinerer Versehen der Bieter ohne weiteres allein aus formalen Gründen vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Dieses Interesse bestehe unabhängig davon, ob ein Dokument als Ganzes fehlt oder eine Einzelangabe in einer vorhandenen Unterlage.
Der Entscheidung ist zuzustimmen. Das Kreuz in der Erklärung zu Kernarbeitsnormen wird, wie ein Blick auf die Rechtsprechung der Vergabekammern Sachsen-Anhalt zeigt, in der Praxis häufig nicht gesetzt. Die für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte zuständige 3. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt hat in derartigen Fällen bislang gegenläufig entschieden und die Erklärung nicht für nachforderbar gehalten (Beschluss vom 25.06.2014, 3 VK LSA 49/14). Es bleibt abzuwarten, ob sie nach der Entscheidung der 2. Vergabekammer ihre Rechtsprechung ändern wird.
Auch das Kammergericht zeigt sich in einer aktuellen Entscheidung (Beschluss vom 07.08.2015, Verg 1/15) großzügig hinsichtlich der Korrekturmöglichkeiten für Bieter-Versehen. Es ist der Auffassung, dass der Auftraggeber nach der Kann-Vorschrift des § 15 EG Abs. 1 Nr. 1 VOB/A eine Aufklärungspflicht hat (Ermessensreduzierung auf Null), wenn dem Bieter in der formularmäßigen Frauenfördererklärung offensichtlich ein Eintragungsfehler unterlaufen ist. Der Bieter hatte angekreuzt, über 250 bis 500 Beschäftigte zu verfügen und nur zwei Frauenfördermaßnahmen aus dem Katalog des Formulars angekreuzt, obwohl bei dieser Beschäftigtenzahl drei hätten ausgewählt werden müssen. Das hielt das Kammergericht für einen offensichtlichen Eintragungsfehler. Es sei unübersehbar gewesen, dass der Bieter meinte, die in dem Formular zur Frauenförderung ausdrücklich genannten Voraussetzungen zu erfüllen. Jedenfalls eine Korrektur der Mitarbeiterzahl hält das Kammergericht für möglich. Ob bei richtiger Ankreuzung der Mitarbeiterzahl nachträglich eine weitere Frauenfördermaßnahme hätte angeboten werden können, ließ es offen. Das Kammergericht verwies auch – aber nur zusätzlich – darauf, dass § 5 Abs. 1 Frauenförderverordnung als Voraussetzung für einen Ausschluss eine Nachfristsetzung vorsieht, wenn Angebote keine oder keine vollständige formularmäßige Frauenfördererklärung enthalten. Es hielt den Auftraggeber für verpflichtet, im Rahmen der Aufklärung einen deutlichen Hinweis auf den dem Bieter unterlaufenen Fehler zu geben, damit dieser die Chance hat, den Fehler zu korrigieren. Diese Hinweispflicht hatte der Auftraggeber mit der lapidaren Nachforderung der Erklärung (ohne Hinweis darauf, was hier fehlerhaft war) nicht erfüllt.
Praxishinweis: Auftraggeber müssen bei fehlerhaft oder unvollständig ausgefüllten Formularen sorgfältig prüfen, welche Aufklärungspflichten und Nachforderungspflichten oder jedenfalls –möglichkeiten sie haben. Schon bei der Erstellung der Vergabeunterlagen sollte auf eine möglichst einfache und unmissverständliche Gestaltung geachtet werden, um Fehler der Bieter zu vermeiden. Werden Unterlagen nachgefordert oder Aufklärungsfragen gestellt, ist auf eine auf den konkreten Sachverhalt bezogene klare Bezeichnung des zu korrigierenden Fehlers bzw. der nachzureichenden Unterlage zu achten.