20.11.2015
Beitrag von Rechtsanwältin Dr. Natalie Hildebrandt im Vergabenavigator 6/15
Auch in der (form-)unwirksamen Änderung eines laufenden Vertrages kann die Vergabe eines neuen Auftrags zu sehen sein – jedenfalls dann, wenn die Änderung des Vertrages faktisch von den Parteien „gelebt“ wird. Die schrittweise Aufstockung eines Vertrags über Rettungsdienstleistungen um letztlich 16 % ist dann als Neuvergabe eines öffentlichen Auftrags anzusehen, der ausgeschrieben werden muss. So entschied das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig im Beschluss vom 28.08.2015 (1 Verg 1/15). In die Betrachtung bezog das Gericht alle erfolgten Aufstockungen des Vertrages ein, obwohl nur die letzte – kleinere – noch mit dem Nachprüfungsverfahren angegriffen worden war.
Der Auftraggeber, ein Landkreis, hatte bereits 1978 einen Leistungserbringer, den späteren Beigeladenen, mit der Durchführung des Rettungsdienstes (Notfallrettung und Krankentransport) im Kreisgebiet beauftragt. Nach dem Vertrag führte der Beigeladene den Rettungsdienst nach den Vorschriften des Rettungsdienstgesetzes des Landkreises Schleswig-Holstein und der dazugehörigen Landesverordnung aus. Hierzu gehörte „insbesondere die Sicherstellung der ordnungsgemäßen personellen und sächlichen Ausstattung der Rettungswachen“.
Dem Kreis oblag nach dem Vertrag die Aufsicht über die Durchführung. Im Zeitraum bis 2001 vereinbarten die Vertragspartner drei Nachträge. Der zweite Nachtrag beinhaltete die Regelung, dass über Anzahl und Einsatzbereitschaft von Rettungsmitteln in den Rettungswachen der Kreis nach Anhörung des Beigeladenen entscheidet.
Bis 2012 erbrachte der Beigeladene auf Grundlage dieser Vereinbarungen Rettungsdienstleistungen in einem Umfang von rund 1600 sog. Rettungsmittelwochenstunden. Da ein Gutachter dann einen zusätzlichen Bedarf von 212 Rettungsmittelwochenstunden ermittelt hatte, bat der Kreis den Beigeladenen zur „Umsetzung“ um eine Erhöhung der Rettungsmittelvorhaltung um „zunächst“ 194 Rettungsmittelwochenstunden.
Eine Konkurrentin, die jetzige Beschwerdeführerin, rügte den Vorgang als rechtswidrige De-facto-Vergabe und beantragte – seinerzeit (wegen Versäumung der Ausschlussfrist nach § 101 b Abs. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, GWB) erfolglos – die vergaberechtliche Nachprüfung.
Ende 2014 beschloss der Kreistag auf Grundlage einer „endgültigen“ Ermittlung der bedarfsgerechten Regelvorhaltung von Rettungsmitteln, dem Beigeladenen weitere 49 Rettungsmittelwochenstunden „im Rahmen des bestehenden Vertragsverhältnisses zu übertragen“. Diese „Aufstockung“ wurde dem Beigeladenen Ende 2014 mitgeteilt.
Die Beschwerdeführerin rügte diese neuerliche Aufstockung erfolglos und beantragte Anfang 2015 die vergaberechtliche Nachprüfung bei der Vergabekammer Schleswig-Holstein. Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurück, weil es am Vorliegen eines öffentlichen Auftrags fehle. Dagegen wandte sich die Beschwerdeführerin mit der sofortigen Beschwerde.
Das OLG Schleswig Holstein hält die sofortige Beschwerde für begründet und erklärt die unmittelbare Beauftragung des Beigeladenen mit 49 weiteren Rettungsmittelwochenstunden (sogenannte Aufstockung) für unwirksam gemäß § 101 b Abs. 1 Nr. 2 GWB.
Eingangs stellt das Gericht nochmals fest, dass die Vergabe von Aufträgen über Rettungsdienstleistungen im sogenannten Submissionsmodell der Ausschreibungspflicht unterliegt. Auch bestehe ein Rechtsschutzinteresse an der Nachprüfung.
Der Landkreis hatte argumentiert, jedenfalls nach Umsetzung der EU-Vergaberichtlinie 2014/24/EU würden die in Rede stehenden Leistungen keiner Ausschreibungspflicht mehr unterliegen. Dies vor dem Hintergrund, dass bestimmte Dienstleistungen des Rettungsdienstes, die von gemeinnützigen Organisationen erbracht werden, vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausdrücklich ausgenommen werden. Dann, so wohl die Überlegung, könne der Landkreis etwaige Aufstockungen ohnehin außerhalb des Vergaberechts vergeben.
Das führt nach Ansicht des OLG Schleswig jedoch nicht zum Entfallen des Rechtsschutzinteresses. Es könne nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdegegner bei einer eventuellen Feststellung der Unwirksamkeit der Aufstockung mit einer Vergabe der entsprechenden Leistungen bis zur Umsetzung der Richtlinie zuwartet, da er den Rettungsdienst gewährleisten und sicherstellen muss.
Unabhängig davon könne auch nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass die betroffenen Leistungen im Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vollständig von der Vergabepflicht ausgenommen werden.
Die Kernfrage, die sich für die Begründetheit des Nachprüfungsantrags stellte, nämlich ob die Aufstockung ein öffentlicher Auftrag im Sinne des § 99 Abs. 1, 4 GWB und damit ein vergaberelevanter Vorgang ist, bejahte das Gericht.
Die in 1978 geschlossenen Verträge einschließlich der bis 2001 geschlossenen Verträge über Nachträge seien zwar vergaberechtlich nicht mehr angreifbar, und im Nachprüfungsverfahren könne auch keine Kündigung möglicherweise vergaberechtswidriger Verträge beansprucht werden. Die Aufstockung jedoch sei angreifbar.
Hierbei stellt das OLG Schleswig in einem ersten Schritt fest, dass es zunächst gar nicht zu einer wirksamen Vertragsänderung durch ausdrückliches Angebot und konkludente Annahme gekommen sei. Ausdrücklich wurde nur die einseitige „Anordnung“ der Aufstockung ausgesprochen. Das hierin liegende Angebot konnte, so das Gericht, nicht wirksam konkludent angenommen werden. Es liege ein öffentlich- rechtlicher Vertrag vor, der gemäß § 124 des Landesverwaltungsgesetzes (LVwG) i. V. m. § 126 Abs. 2 S. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nur durch Beachtung der Schriftform „auf der selben Urkunde“ geändert werden könne.
In einem zweiten Schritt kommt das Gericht zu dem Schluss, dass eine „vergaberechtsrelevante“ Vertragsänderung auch ohne „vereinbarte“ Änderung in Betracht kommen kann. D. h., ein Auftraggeber kann sich etwaigen vergaberechtlichen Pflichten nicht dadurch entziehen, dass er eine Vertragserweiterung zwar nicht oder nicht wirksam vereinbart, aber dennoch lebt.
Eine vergaberechtsrelevante Änderung sieht das Gericht als möglich an, wenn das bisherige Auftragsvolumen durch eine einseitige Leistungsbestimmung oder Option in einem solch großen Umfang erweitert wird, dass es nicht mehr von dem ursprünglich geschlossenen Vertrag erfasst wird. Entscheidend sei, ob das einseitige Leistungsbestimmungsrecht im Ursprungsvertrag vereinbart und qualitativ und quantitativ hinreichend definiert oder begrenzt ist.
Das verneint das OLG Schleswig im konkreten Fall. Die Verträge enthielten keine Bestimmung über eine Leistungserweiterung bzw. Anpassungsklausel mit einer klar vorab definierten Reichweite. Die Vertragsbestimmung aus dem Nachtrag, die dem Landkreis die Befugnis zubilligte, über Anzahl und Einsatzbereitschaft von Rettungsdienstmitteln zu entscheiden, sei sehr allgemein gehalten, und insbesondere weder limitiert noch hinsichtlich ihrer Reichweite bestimmbar. Die in Auftrag gegebene Leistungsmenge sei allein an Hand des Wortlauts der Verträge nicht zu quantifizieren.
Auch das gesetzliche wie vertraglich fixierte Kriterium der Bedarfsgerechtigkeit führe nicht dazu, dass die Leistungsmenge hinreichend bestimmbar sei. Das Kriterium beschreibe allenfalls eine generell–abstrakte Orientierung zur Bestimmung des Leistungsumfangs. Mit weiteren vertieften Argumenten begründet das Gericht, wieso die Reichweite der Entscheidungsbefugnis des Landkreises über Anzahl und Einsatzbereitschaft von Rettungsmitteln nicht bestimmbar ist.
Der Landkreis versuchte zu argumentieren, der Nachtrag sei als eine „Gesamtbedarfsdeckungsklausel“ zu verstehen, die eine vertraglich angelegte „Dynamik“ enthalte. In den bestehenden Verträgen sei die Zahl der Rettungsmittelwochenstunden weder fixiert noch beschränkt gewesen. Damit sah der Landkreis sich berechtigt, sich bei der Bestimmung über Anzahl und Einsatzbereitschaft von Rettungsmitteln innerhalb des bestehenden Vertragsverhältnisses frei zu bewegen, ohne dass das Vergaberecht ins Spiel käme.
Dem folgte das OLG Schleswig nicht: Würde die in Rede stehende Regelung in diesem Sinne verstanden und ginge man wie der Landkreis davon aus, dass die Zahl der Rettungsmittelwochenstunden in den bestehenden Verträge weder fixiert noch beschränkt sei, zeige sich, dass die Befugnis zu einer Leistungserweiterung gegenüber den einzelnen Leistungserbringern nicht begrenzt sei. Bei vergaberechtlicher Betrachtung laufe dies auf einen vergaberechtlichen Freibrief hinaus.
Einen gewissen Spielraum für vergaberechtsfreie Änderungen sieht der Vergabesenat: Die einseitige Befugnis einer Leistungserweiterung nach der Klausel bestehe für Leistungsänderungen entsprechend § 2 VOL/B und – im Hinblick auf die vorher nicht exakt bezifferbare Leistungsmenge – auch für Anpassungen an den Bedarf nach oben oder unten, die im Rahmen einer normalen, langjährigen Schwankungsbreite liegen und sich damit noch innerhalb des vereinbarten Volumens der bestehenden Verträge bewegen. Die hier beurteilte Aufstockung um 49 Rettungsmittelwochenstunden liege jedoch außerhalb der langjährigen Schwankungsbreite in diesem Sinne.
Hierbei stützt das Gericht sich auf die Tatsache, dass die Aufstockung auf einer ganz neuen Bedarfsbewertung fußte und dass der Bedarf sich generell aus verschiedensten Gründen verändert hatte, etwa wegen der demographischen Entwicklung und eines veränderten Verhaltens bei der Inanspruchnahme des Rettungsdienstes.
Unter Berufung auf die „Pressetext“-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Urteil vom 19.06.2008 (Rs. C-454/06) bewertet das OLG Schleswig die Aufstockung als „wesentliche“ und daher vergabepflichtige Vertragsänderung, da sie den Auftrag in großem Umfang auf ursprünglich nicht vorgesehene Dienstleistungen erweitere.
Dass allein die Aufstockung den Schwellenwert übersteige, indiziere die Wesentlichkeit der Vertragsänderung. Zusätzlich stellt das Gericht aber auch auf das Verhältnis der Aufstockung zum Ursprungsauftrag ab. Interessant hierbei ist, dass es dabei alle erfolgten Aufstockungen, auch die vergaberechtlich erfolglos angegriffenen und nicht mehr angreifbaren, einbezieht. Die „Bestandskraft“ der dazu erfolgten Vergabeentscheidung, so das Gericht, bewirke nur, dass diese von einem Bieter nicht mehr angegriffen werden kann. Die „Bestandskraft“ hindere es aber nicht, im Rahmen der „Wesentlichkeit“ einer Erweiterung des Leistungsvolumens nach schrittweise erfolgten „Aufstockungen“ auch zuvor realisierte Leistungserweiterungen einzubeziehen. Auf diese Weise gelangt das Gericht zur Annahme einer Aufstockung um 16 %, die es als wesentliche Leistungserweiterung ansieht.
Die Aussage des OLG Schleswig, dass der öffentliche Auftraggeber sich nicht bereits vor Umsetzung der neuen EU-Vergaberichtlinie auf dort vorgesehene Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Vergaberechts berufen kann, leuchtet ein. Auftraggeber, die auf Grundlage der neuen Richtlinie auf künftige größere Spielräume hoffen, sollten prüfen, ob ihre Vergabe noch bis zur Umsetzung der Richtlinie warten kann. Dem hier betroffenen Auftraggeber, der den Rettungsdienst gewährleisten musste, war dies nicht möglich.
Zur vergaberechtlichen Relevanz von Vertragsänderungen trifft das OLG Schleswig gleich mehrere interessante Aussagen:
Erstens behandelt es auch rechtlich unwirksame (im konkreten Fall formunwirksame) Vertragsänderungen als vergaberelevante Vorgänge, gestützt darauf, dass die Änderungen faktisch gelebt werden. Auftraggeber müssen demnach nicht erst dann etwaige Vergabepflichten prüfen, wenn sie formale Vereinbarungen zu bestehenden Verträgen treffen, sondern auch berücksichtigen, wie der Vertrag gelebt wird. Auch dadurch können vergaberelevante und damit angreifbare „faktische“ Änderungen erfolgen.
Zweitens widmet sich das Gericht der Frage, wie Änderungen zu bewerten sind, wenn bereits der ursprüngliche Leistungsumfang nicht exakt bestimmt ist. Es stellt zu Recht fest, dass dies keinen vergaberechtlichen Freibrief für jegliche Änderungen auch in ferner Zukunft gewähren kann. Gleichzeitig trägt es praktischen Erfordernissen Rechnung. Leistungsänderungen entsprechend § 2 VOL/B und auch Anpassungen an den Bedarf nach oben oder unten „im Rahmen einer normalen, langjährigen Schwankungsbreite“ hält es außerhalb des Vergaberechts für möglich. Eine ganz neue Bedarfsbewertung, die auf verschiedenen Veränderungen bei der Inanspruchnahme des Rettungsdienstes fußt, verlässt diesen Rahmen.
Für öffentliche Auftraggeber bedeutet das: Wenn sie künftig Änderungen auch außerhalb der normalen Schwankungsbreite ohne Vergabeverfahren umsetzen können möchten, müssen sie solche Änderungsmöglichkeiten bereits bei der Vergabe des Ursprungsauftrags konkret, d. h. qualitativ und quantitativ hinreichend begrenzt, vereinbaren. Eine hinreichend genaue Bestimmung wird so wohl nur für konkret vorhersehbare Änderungen möglich sein.
Der Gefahr, dass Bedarf und Vertragsinhalt über die Laufzeit des Vertrags auseinanderdriften, kann ansonsten natürlich auch durch Vereinbarung kürzerer Laufzeiten Rechnung getragen werden.
Tritt im laufenden Vertrag eine veränderte Bedarfssituation zutage und ist kein sonstiger Ausnahmetatbestand vom Vergaberecht gegeben , bleibt sonst nur die Möglichkeit, für die zusätzlichen Leistungen ein weiteres Vergabeverfahren durchzuführen.
Praktisch ist es durchaus denkbar, die Vorhaltung über mehrere Leistungserbringer abzudecken. Wie dies umgesetzt wird, hängt von der Art des zusätzlichen Bedarfs ab. So kann es notwendig sein, die Einrichtung eines neuen Rettungswachenstandorts vorzusehen, etwa wenn Probleme bei der Einhaltung der Hilfsfristen festgestellt werden. Die getrennte Vergabe ist hier unproblematisch. Ist nur eine Erweiterung der Vorhaltezeiten oder der zu einer bestimmten Zeit vorzuhaltenden Rettungsmittel erforderlich, ist eine Trennung schon schwieriger. Insbesondere stellt sich die Frage, ob ein weiterer Leistungserbringer überhaupt dieselbe Rettungswache nutzen könnte. Hier wäre ggf. ein Radius vorzugeben, innerhalb dessen eine weitere Wache einzurichten wäre, und es wäre zu überlegen, wie die Zuständigkeiten zwischen beiden Leistungserbringern abzugrenzen wären.
Möglicherweise wird die Vorhaltung weiterer Ressourcen ausschließlich für einen gewissen Zusatzbedarf so unwirtschaftlich sein, dass sich keine weiteren Bieter finden lassen oder dass diese sich jedenfalls nicht als wirtschaftlichste Bieter durchsetzen können. Dies wird sich aber erst im Vergabeverfahren erweisen müssen.
Drittens sieht das Gericht bei Überschreitung des Schwellenwerts allein durch die neuen Leistungen die Wesentlichkeit der Vertragsänderung indiziert. Die Bedeutung des Schwellenwerts für die Beurteilung der Vergaberelevanz einer Änderung ist bislang nicht eindeutig geklärt. In der Rechtsprechung wird die Überschreitung des Schwellenwerts zumeist jedenfalls als eines der Kriterien für die Annahme einer wesentlichen Änderung angeführt. Spätestens bei einem solchen Umfang ist beim öffentlichen Auftraggeber daher große Vorsicht geboten.
Viertens gibt das OLG Schleswig einen quantitativen Anhaltspunkt dafür, welcher Umfang einer Auftragserweiterung als wesentlich anzusehen ist – das soll bei einer Erweiterung um knapp 16 % der Fall sein. In dem ersten, letztlich an der Ausschlussfrist gescheiterten Nachprüfungsverfahren, hatte es schon eine Aufstockung um rund 11 % für wesentlich erklärt – unter Verweis auf Art. 72 Abs. 2 (ii) der novellierten Vergaberichtlinie 2014/24/EU, wonach Änderungen bis zu einer 10 %-Schwelle vergaberechtsfrei sind, wenn ihr Wert die Schwellenwerte nicht überschreitet. Dieser 10 %-Wert kann öffentlichen Auftraggebern somit bereits jetzt zur Orientierung dienen.
Interessant ist fünftens die Aussage, dass in die Betrachtung auch „bestandskräftige“ frühere Erweiterungen einbezogen werden, nicht lediglich die letzte, im konkreten Nachprüfungsverfahren noch angegriffene. Auftraggeber können ihre Überlegungen zur Vergabepflichtigkeit daher nicht auf den konkret anstehenden Schritt zur Vertragsänderung beschränken, sondern müssen auch etwaige zuvor vereinbarte – oder auch nur „gelebte“ Vertragsänderungen - im Blick halten.
Im Entwurf des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts ist in § 132 GWB eine neue, ausführliche Regelung zu Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit vorgesehen. Hiernach erfordern „wesentliche“ Änderungen – solche, die dazu führen, dass sich der öffentliche Auftrag erheblich von dem ursprünglich vergebenen öffentlichen Auftrag unterscheidet – ein neues Vergabeverfahren. Hierfür werden zahlreiche Fallbeispiele genannt, die die bisher ergangene Rechtsprechung aufgreifen, wie etwa die erhebliche Ausweitung des Auftrags.
Interessant ist die ausdrückliche Regelung in § 132 Abs. 2 und 3 GWB zu den Fällen, in denen bei Änderung des Auftrags kein neues Vergabeverfahren erforderlich ist. Für erheblich mehr Rechtssicherheit dürfte die Regelung in § 132 Abs. 3 GWB führen. Danach ist eine Änderung ohne Vergabeverfahren zulässig, wenn sich erstens der Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändert, zweitens die Änderung die Schwellenwerte nicht übersteigt und drittens bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen nicht mehr als 10 Prozent und bei Bauaufträgen nicht mehr als 15 Prozent des ursprünglichen Auftragswerts beträgt.
Bei mehreren aufeinander folgenden Änderungen ist nach dem Regelungsentwurf der Gesamtwert der Änderungen maßgeblich – so wie es das OLG Schleswig bereits jetzt gesehen hat.