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01.12.2016

Die Vergabereform hat einige Klarheit gebracht, es bleiben aber Fragen offen.

Der vergaberechtliche Rahmen für Eignung und Wertung hat sich durch die Spruchpraxis der Nachprüfungsinstanzen und die Vergaberechtsnovelle 2016 verändert. Die aktuellen Entwicklungen sind Gegenstand dieses Beitrages.

Eignungskriterien und Zuschlagskriterien

Grundlegend ist nach wie vor die Unterscheidung zwischen Eignungskriterien und Zuschlagskriterien:

  • Eignungskriterien sind unternehmensbezogen,
  • Zuschlagskriterien sind leistungsbezogen.

Anhand der Eignungskriterien entscheidet der öffentliche Auftraggeber, ob ein Unternehmen zur ordnungsgemäßen Ausführung des öffentlichen Auftrages in der Lage ist. Anhand der Zuschlagskriterien wird das wirtschaftlichste Angebot ermittelt.

Ob ein Kriterium Zuschlags- oder Eignungsskriterium ist, bestimmt sich danach, ob es sich auf die angebotene Leistung bezieht und daher mit der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes zusammenhängt (Zuschlagskriterium) oder schwerpunktmäßig die Beurteilung der Eignung des Bieters für den ausgeschriebenen Auftrag betrifft, also unternehmensbezogen ist (Eignungskriterium) (vgl. z.B. VK Bund, Beschluss v. 13.6.2014 – VK 1-34/14).

Praktisch bedeutsam ist das Verbot, bieterbezogene Eignungskriterien und auftragsbezogene Zuschlagskriterien  zu vermischen, das auch nach der Vergaberechtsnovelle 2016 fort gilt.

Nach § 58 Abs. Nr. 2 VgV und § 16 EU Abs. 2 Nr. 2 b) VOB/A dürfen in bestimmten Fällen klassische Eignungskriterien in die Auswahlentscheidung einbezogen werden: Die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals kann berücksichtigt werden, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann.

Entscheidet sich der Auftraggeber, die Qualifikation und Erfahrung des Projektleiters bei der Zuschlagsentscheidung zu berücksichtigen, kann allerdings das gleiche Kriterium nicht Gegenstand der Eignungsprüfung sein.

Eignungskriterien

Die grundsätzlichen Vorgaben zur Eignung enthält seit der Vergaberechtsreform § 122 GWB. Die Einzelheiten sind im Abschnitt 1 Unterabschnitt 5 der VgV bzw. 6 EU ff VOB/A geregelt. Nach der Reform muss man also bezüglich der Eignung immer zwei Regelwerke berücksichtigen.

Inhaltlich sind folgende Neuerungen erwähnenswert:

Zuverlässigkeit und Gesetzestreue sind keine Eignungskriterien mehr. Bislang beauftragte man fachkundige, leistungsfähige sowie gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen. Nach § 122 GWB sind seit dem 18.4.2016 nunmehr ausschließlich die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, die wirtschaftliche und finanzielle sowie die technische und berufliche Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Alle Eignungskriterien müssen sich diesen drei Kategorien zuordnen lassen.

Durch die Ausschlusstatbestände in §§ 123, 124 GWB und die Vorgaben für die Auftragsausführung in §§ 128, 129 GWB wird inhaltlich aber sichergestellt, dass die Unternehmen, die öffentliche Aufträge erhalten, auch weiterhin z. B. ihren steuerlichen und abgabenrechtlichen Verpflichtungen nachkommen müssen. 

Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung

Erläuterungsbedürftig ist der Begriff Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung. § 122 GWB definiert nicht, was unter Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung zu verstehen ist. Dies wird in § 44 VgV und § 6a EU Nr. 1 VOB/A näher beschrieben. Der Auftraggeber kann verlangen, dass Bewerber oder Bieter nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem sie niedergelassen sind, entweder die Eintragung in einem Berufs- oder Handelsregister dieses Staates nachweisen oder auch auf andere Weise die erlaubte Berufsausübung nachweisen.

Der Anhang XI RL 2014/24/EU weist für Deutschland das Handelsregister, die Handwerksrolle und bei Dienstleistungsaufträgen das Vereinsregister, das Partnerschaftsregister und die Mitgliederverzeichnisse der Berufskammern der Länder aus.

Wenn Bewerber oder Bieter eine bestimmte Berechtigung besitzen oder Mitglied einer bestimmten Organisation sein müssen, um die betreffende Dienstleistung in ihrem Herkunftsstaat erbringen zu können, kann der Auftraggeber nach § 44 Abs. 2 VgV von den Bewerbern oder Bietern verlangen, ihre Berechtigung oder ihre Mitgliedschaft nachzuweisen.

Bei Leistungen, die nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz einem Rechtsanwalt vorbehalten sind, ist die Zulassung zur Rechtanwaltschaft eine Frage der Eignung. Bei Architekten- und Ingenieurleistungen ist – sofern als Berufsqualifikation der Beruf des Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten, Stadtplaners oder beratenden Ingenieurs oder Ingenieurs gefordert wird – zuzulassen, wer nach dem für die öffentliche Auftragsvergabe gültigen Landesrecht berechtigt ist, die entsprechende Berufsbezeichnung zu tragen oder in der Bundesrepublik Deutschland entsprechend tätig zu werden (§ 75 Abs. 1 und 2 VgV). 

Eignungskriterien müssen angemessen sein

Betont wird im neuen Vergaberecht die Angemessenheit der Eignungskriterien, was auch der Hervorhebung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Vergaberecht insgesamt geschuldet sein dürfte (vgl. § 97 Abs. 1 GWB).

Die Angemessenheit hängt von Art des Auftrags, Auftragsgegenstand, Bedingungen der Auftragsausführung ab. Der Auftraggeber darf anspruchsvolle Kriterien aufstellen (Otting, VergabeR 2016, S. 316 (317), sie müssen aber verhältnismäßig sein.

Allgemein gilt für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit, dass ein etwa geforderter Mindestjahresumsatz das Zweifache des Auftragswertes regelmäßig nicht überschreiten darf (§ 6 a EU Nr. 2 c VOB/A, § 45 Abs. 2 VgV).

Bei Architekten- und Ingenieurleistungen müssen die Eignungskriterien müssen so gewählt werden, dass sich kleinere Büroorganisationen und Berufsanfänger beteiligen können, § 75 Abs. 4 VgV.

Für derartige Leistungen ist auch die Sonderregelung in § 74 Abs. 5 S. 2 VgV zu beachten, wonach für die Vergleichbarkeit der Referenzprojekte in der Regel unerheblich ist, ob der Bewerber bereits Objekte derselben Nutzungsart geplant oder realisiert hat.

Die Eignungsleihe

Wie auch bisher können sich Unternehmen zum Nachweis ihrer Eignung auf Dritte berufen. Bestimmungen zur sog. Eignungsleihe finden sich in § 47 VgV und § 6 d EU VOB/A. Wenn der Bieter sich im Hinblick auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit auf Dritte beruft, kann der Auftraggeber eine Haftung des Dritten vorgeben.

Eine Berufung auf Nachweise der beruflichen Leistungsfähigkeit wie Ausbildungs- und Befähigungsnachweise Dritter ist nach § 47 Abs. 1 S. 3 VgV und § 6 d EU Abs. 1 VOB/A nur dann möglich, wenn diese Dritten die Leistung erbringen, für die die Kapazitäten benötigt werden.

Nunmehr ist auch die Vorgabe möglich, dass bestimmte kritische Aufgaben vom Bieter selbst durchgeführt werden (§ 6 d EU Abs. 4 VOB/A, § 47 Abs. 5 VgV). Hierin mag man eine Renaissance des Selbstausführungsgebotes sehen.

Eine weitere Besonderheit ist: Der öffentliche Auftraggeber kann den Bieter auffordern, den Eignungsverleiher zu ersetzen, wenn für diesen Ausschlussgründe vorliegen. Damit werden auch nach Ende der Angebotsfrist Änderungen in der Person des Unternehmens, auf dessen Kapazitäten sich der Bieter beruft, möglich.

Die Einheitliche Europäische Eignungserklärung hat in § 50 VgV und § 6 b EU VOB/A Eingang in das deutsche Vergaberecht gefunden. Als vorläufiger Eignungsnachweis löst sie  eine sogenannte Eignungsvermutung aus. Damit verstärkt sie den Trend, Nachweise und Belege nur von den Bietern, die in die engere Wahl kommen zu fordern. Die Auftraggeber müssen dies bei ihrer Zeitplanung berücksichtigen.

Zuschlagskriterien

Anforderungen für die Zuschlagskriterien enthalten sowohl § 127 GWB als auch § 58 VgV und § 16 EU Abs. 2 VOB/A.

Die Zuschlagskriterien müssen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen. Eine Verbindung ist auch dann anzunehmen (dies ist nunmehr ausdrücklich geregelt), wenn sich ein Zuschlagskriterium auf Prozesse im Zusammenhang mit der Herstellung, Bereitstellung oder Entsorgung der Leistung, auf den Handel mit der Leistung und ein anderes Stadium im Lebenszyklus der Leistung bezieht, auch wenn sich diese Faktoren nicht auf die materiellen Eigenschaften des Auftragsgegenstandes auswirken.

Etwaige verbliebene Zweifel bezüglich der Zulässigkeit sozialer und nachhaltiger Kriterien sind damit ausgeräumt. Praktisch ergeben sich diesbezüglich aber häufig Schwierigkeiten bei der rechtlich erforderlichen  Überprüfbarkeit. Es bleibt abzuwarten, ob Gütezeichen, auf die u.a. in § 58 Abs. 4 VgV Bezug genommen wird, die notwendige (Rechts)sicherheit vermitteln können.

Wenn der Auftraggeber neben dem Preis weitere Zuschlagskriterien berücksichtigt, muss er besonderes Augenmerk auf die Transparenz der Zuschlagskriterien richten: Bieter müssen erkennen können, unter welchen konkreten Voraussetzungen die Wertung erfolgt. Hierzu hat das OLG Düsseldorf strenge Maßstäbe aufgestellt:

Die Bieter müssen den Vergabeunterlagen entnehmen können, welchen Erfüllungsgrad die Angebote aufweisen müssen, um mit den festgelegten Punktwerten bewertet zu werden. (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 16.12.2015 VII – Verg 25/15). Nicht ausreichend sei es, in den Vergabeunterlagen Unterkriterien und Gesichtspunkte, die dem öffentlichen Auftraggeber besonders wichtig sind, mitzuteilen.

Auch einem Schulnotensystem hat das OLG Düsseldorf eine Absage erteilt (Beschluss v. 16.6.2016, VII-Verg 49/15): Es sei nicht erkennbar, unter welchen Voraussetzungen welche Kriterien mit welcher Schulnote bewertet würden.

Diese Spruchpraxis stellt die Auftraggeber insbesondere bei Vergabeverfahren, bei denen die Leistung funktional beschrieben wird oder der Auftraggeber vom Bieter eine eigene Darstellung beispielsweise in Form eines Konzeptes verlangt , vor Schwierigkeiten. Das Vergaberecht fordert aber nicht, dass der Auftraggeber vorab ein Musterkonzept aufstellt, an dem er den Inhalt der Konzepte der einzelnen Bieter messen wird.

Sinn und Zweck der Erarbeitung von Konzepten ist es, das Knowhow, die Kreativität und das Innovationspotenzial der Bieter abzufragen. Dies würde konterkariert, wenn der Auftraggeber selbst ein Musterkonzept bereitstellen müsste (dazu: VK Sachsen, Beschluss v. 6.11.2015 – 1/SVK/024-15).

Allerdings muss der Bieter erkennen können worauf es dem Auftraggeber ankommt. Dafür dürfte eine abstrakte Bezeichnung, wie z.B. „entspricht den Anforderungen“, bzw. „entspricht den Anforderungen nicht“, entspricht den Anforderungen „mit Einschränkungen“ oder „vollumfänglich“, Lösung ist „besonders dienlich“, regelmäßig nicht ausreichen, wenn nicht definiert ist, was die Anforderungen bzw. die Zielstellung des einzelnen Kriteriums sind und wie die Umsetzung im Angebot darzustellen ist (vgl. OLG Dresden, Beschluss v. 26.1.2016, Verg 1/16).

Es dürfte regelmäßig ratsam sein, zu bezeichnen, wie die Punkteverteilung im Vergleich erfolgt (Vergleich der Angebote untereinander, Vergleich mit dem besten Angebot, Vergleich mit marktüblicher Leistung, Vergleich mit Erwartungshorizont des Auftraggebers).

Der EuGH hat nach Unionsrecht eine Bewertung nach Punkten anhand der Maßstäbe „hoch“, „ausreichend“ und „niedrig“ bezogen auf das Kriterium „Qualität“ für ausreichend gehalten (Urteil v. 14.7.2016, Rs. C-6/15). Worauf allerdings der EuGH zutreffend hinweist ist, dass durch die Bewertungsmaßstäbe eine angegebene Gewichtung nicht ausgehöhlt werden darf: Der Auftraggeber sollte stets überprüfen, ob er eine Gewichtung   in Prozentwerten ausdrückt, wenn er die Bewertung anhand von Punkten durchführt (vgl. dazu auch OLG Düsseldorf, Beschluss v. 21.10.2015, VII-Verg 28/14).

Nachforderung von Unterlagen

In so gut wie jedem Vergabeverfahren wird der Auftraggeber mit unvollständigen oder erläuterungsbedürftigen Angeboten konfrontiert. Das Vergaberecht sieht eine umfassende Prüfpflicht vor allem für Angebote, die in die engere Wahl kommen, vor (§ 56 Abs. 1 VgV): Die Prüfung auf Vollständigkeit, fachliche Richtigkeit, rechnerische Richtigkeit. Eine Prüfung ist notwendige Voraussetzung für eine Nachforderung.

Das Vergaberecht eröffnet die Möglichkeit, Unterlagen nachzufordern und gewährt folglich einen Spielraum, den der öffentliche Auftraggeber ermessensgerecht ausfüllen und dokumentieren muss.

Neu ist die Klarstellung in § 56 VgV, nach der sich die Nachforderungsmöglichkeit auch auf Teilnahmeanträge bezieht. Unsicherheiten aus Vorläuferregelung des § 19 EG Abs. 2 VOL/A sind damit  beseitigt.

Der Auftraggeber kann bei Vergaben nach der VgV die Nachforderung von vorneherein ausschließen (§ 56 Abs. 2 S. 2 VgV).

Erstmalig unterscheidet die VgV bei der Nachforderung ausdrücklich zwischen unternehmensbezogenen und leistungsbezogenen Unterlagen:

 

unternehmensbezogene Unterlagen:

          leistungsbezogene Unterlagen:

fehlend, unvollständig, fehlerhaft,

          fehlend, unvollständig

Nachreichung,

Vervollständigung,

Korrektur

          Nachreichung,

          Vervollständigung,

          Nicht Korrektur

 

In keinem Fall nachgefordert werden dürfen leistungsbezogene Unterlagen, die bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots anhand der Zuschlagskriterien eine Rolle spielen.

Vor der Vergaberechtsnovelle war die Abgrenzung zwischen zulässiger formaler Nachforderung und unzulässiger inhaltlicher Nachbesserung problematisch (dazu Gnittke, VergabeNavigator, Sonderausgabe 2012, 8 f.).  Zunächst scheint dies durch die Neuregelung in der VgV geklärt: Bezüglich der Eignung ist auch eine Korrektur erlaubt bezüglich der Leistung nicht. Es bleibt abzuwarten, ob mit der Neuregelung alle Unsicherheiten gelöst sind:

  • Können auch unwahre Angaben als fehlerhafte Angaben berichtigt werden?
  • Wenn der Bieter inhaltlich unzureichende Referenzen vorlegt, kann der Auftraggeber dann eine Referenz zu einem vergleichbaren Auftrag nachfordern und der Bieter Referenzen austauschen (dazu Kirch/Jentzsch, VergabeNews 2016, 114)?
  • Wie weit geht die Nachforschungspflicht bzw. das Nachforschungsrecht des Auftraggebers?

 

Fazit

Die Vergaberechtsnovelle hat zu einigen Gesichtspunkten der Eignung und Wertung Klarheit gebracht. Die rechtlichen Regelungen werfen  aber auch (neue) Fragen auf, die sich bei der Anwendung zeigen. Spielräume, die das Recht bietet, müssen durch die Auftraggeber in den Vergabeunterlagen ausgefüllt werden.