01.12.2016
Seit dem 01.10.2016 gilt in Brandenburg ein neues Vergabegesetz (BbgVergG). Dieses enthält in § 4 BbgVergG Regelungen zum öffentlichen Personennahverkehr.
Personalübernahme
Neu hinzugekommen ist die Regelung in § 4 Abs. 2 BbgVergG, nach der Aufgabenträger Auftragnehmer im SPNV zur Personalübernahme verpflichten sollen. Eine Regelung über die Personalübernahme ist seit der Vergaberechtsreform 2016 allerdings auch in § 131 Abs. 3 GWB enthalten. Zu klären ist, inwieweit zwischen den Regelungen Unterschiede bestehen und was daraus für die praktische Handhabung folgt:
Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 BbgVergG sollen Aufgabenträger die Auftragnehmer im Rahmen von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen verpflichten, den Arbeitnehmern, die zuvor zur Erbringung der Verkehrsleistungen eingestellt wurden, ein Angebot zur Übernahme zu den bisherigen Arbeitsbedingungen zu unterbreiten.
Nach § 131 Abs. 3 Satz 1 GWB sollen die Aufgabenträger verlangen, dass der ausgewählte Betreiber die Arbeitnehmer, die beim bisherigen Betreiber für die Erbringung dieser Verkehrsleistung beschäftigt waren, übernimmt und ihnen die Rechte gewährt, auf die sie Anspruch hätten, wenn ein Übergang gemäß § 613a BGB erfolgt wäre. Gemäß § 131 Abs. 3 Satz 2 GWB ist das Verlangen auf diejenigen Arbeitnehmer zu beschränken, die für die Erbringung der übergehenden Verkehrsleistung unmittelbar erforderlich sind.
Die Begriffe der Arbeitnehmer „die zuvor zur Erbringung der Verkehrsleistungen eingestellt wurden“ (BbgVergG) und derjenigen „die beim bisherigen Betreiber für die Erbringung dieser Verkehrsleistung beschäftigt waren“ (GWB) sind nicht ganz deckungsgleich. § 4 Abs. 2 BbgVergG enthält außerdem keine Beschränkung auf diejenigen Arbeitnehmer, die tatsächlich mit der Verkehrsleistung beschäftigt waren und „die für die Erbringung der übergehenden Verkehrsleistung unmittelbar erforderlich sind".
Unterschiede bestehen auch beim Modus der Personalübernahme: Während bei einem Betriebsübergang gemäß § 613a BGB der neue Inhaber automatisch in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen eintritt, wenn der Arbeitnehmer nicht nach § 613a Abs. 6 BGB widerspricht, soll der Auftragnehmer den Arbeitnehmern nach § 4 Abs. 2 BbgVergG ein Angebot zur Übernahme zu den bisherigen Arbeitsbedingungen unterbreiten. Die Bestimmungen über tarifvertragliche Rechte nach § 613a Abs.1 Satz 2 und 3 BGB und Informationspflichten nach § 613a Abs. 5 BGB werden in § 4 Abs. 2 BbgVergG nicht in Bezug genommen.
Nicht in § 4 Abs. 2 BbgVergG enthalten ist außerdem die Regelung des § 131 Abs. 3 Satz 3 GWB, nach der öffentliche Auftraggeber Regelungen vorsehen sollen, die eine missbräuchliche Anpassung tarifvertraglicher Regelungen zulasten des neuen Betreibers ausschließen. Eine Präzisierung gegenüber § 131 Abs. 3 Satz 4 GWB enthält § 4 Abs. 2 Satz 3 BbgVergG, der die Frist für den bisherigen Betreiber, alle für die Personalübernahme erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen, auf sechs Wochen begrenzt.
In der praktischen Handhabung dürfte sich mit Ausnahme der Frist nach § 4 Abs. 2 Satz 3 BbgVergG eine Orientierung an den Vorgaben von § 131 Abs. 3 GWB empfehlen. Dies betrifft insbesondere die Anordnung des klar definierten Pflichtenspektrums nach § 613a BGB und die Beschränkung auf die Übernahme von Arbeitnehmern, die für die Erbringung der übergehenden Verkehrsleistung unmittelbar erforderlich sind. Eine solche Beschränkung dürfte bereits aus den allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit (§ 97 Abs. 1 Satz GWB) folgen. Gleiches gilt für die Missbrauchsregelung nach § 131 Abs. 3 Satz 3 GWB.
Inwiefern § 4 Abs. 2 BbgVergG damit im Ergebnis gegenüber § 131 Abs. 3 GWB eine eigene Bedeutung zukommt, erscheint fraglich. Ein Anwendungsbereich unterhalb der EU-Schwellenwerte ist in Anbetracht der typischen Auftragsvolumina bei SPNV-Vergaben jedenfalls eher theoretisch.
Pflicht zur Einhaltung repräsentativer Tarifverträge
Die Bestimmungen in § 4 Abs. 1 über die Verpflichtung der Bieter zur Einhaltung der jeweils geltenden einschlägigen und repräsentativen Entgelttarifverträge waren als § 3 Abs. 2 BbgVergG a.F. bereits wortgleich im alten Vergabegesetz enthalten. Entsprechende Regelungen finden sich auch in 13 weiteren Bundesländern (alle außer Bayern und Sachsen). Ihre Verfassungsmäßigkeit wurde in jüngster Zeit allerdings verschiedentlich in Zweifel gezogen.
Nach § 4 Abs. 1 BbgVergG haben sich Bieter im Bereich des ÖPNV gegenüber dem Auftraggeber zu verpflichten, den bei der Ausführung der Leistung eingesetzten Beschäftigten mindestens die Bedingungen der hierfür jeweils geltenden einschlägigen und repräsentativen Entgelt-Tarifverträge zu gewähren. Die Feststellung der Repräsentativität von Tarifverträgen obliegt nach § 4 Abs. 1 Satz 6 - 8 BbgVergG in Verbindung mit der BbgVergGÖPNV-Verfahrensverordnung vom 19.07.2013, einem Beirat für den ÖPNV im Land Brandenburg bei dem für Arbeit zuständigem Ministerium.
Dieser Beirat hat gemäß § 7 der BbgVergGÖPNV-VV am 28.05.2014 eine Liste von repräsentativen Tarifverträgen im ÖPNV veröffentlicht. Während im Bereich des SPNV insgesamt 15 Tarifverträge zwischen verschiedenen Tarifparteien, insbesondere von EVG bzw. GDL mit dem Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister (AGV MoVe) aber auch mit verschiedenen Privatbahnen für repräsentativ erklärt sind, ist im Bereich des öffentlichen ÖPNV auf der Straße nur ein einziger Tarifvertrag zwischen dem kommunalen Arbeitgeberverband Brandenburg (KAV) und ver.di genannt.
Eine derartige Situation bestand bis zum Neuerlass der Repräsentative TarifverträgeVerordnung-NRW (RepTVVO) am 05.04.2016 auch in Nordrhein-Westfalen und gab dort Anlass zu verschiedenen Rechtsstreitigkeiten:
Einerseits hatte das VG Düsseldorf in einem vom Verband der nordrhein-westfälischen Omnibus-Unternehmer (RWO) angestrengten Verfahren dem Verfassungsgerichtshof NRW die Frage vorgelegt, ob die § 4 Abs. 2 BbgVergG entsprechende Verpflichtung zur Einhaltung repräsentativer Tarifverträge nach TVgG-NRW insgesamt verfassungskonform sei (Beschluss vom 27.08.2015, 6 K 2793/13). Das VG sah in der Regelung einen Eingriff in die Tarifautonomie nach Art. 9 Abs. 3 GG, der nicht gerechtfertigt sei, da im ÖPNV in der Praxis keine Dumpinglöhne im Bereich des gesetzlichen Mindestlohns gezahlt würden. Nach Änderung der RepTVVO im April 2016 wurde der Vorlagebeschluss allerdings aufgehoben, da die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt hatten (vgl. Beschluss v. 30.05.2016, VerfGH 10/15).
Parallel hatte das OLG Düsseldorf (19.10.2015 VII – Verg 30/13) die alte RepTVVO vom 31. Oktober 2012, die im Bereich des ÖPNV auf der Straße ausschließlich den Spartentarifvertrag mit den kommunalen Verkehrsunternehmen für repräsentativ erklärte, für nichtig gehalten. Nach Auffassung des OLG hätte in Anbetracht der konkreten Verhältnisse auf dem Busverkehrsmarkt auch der Tarifvertrag mit privaten Omnibusgewerben für repräsentativ erklärt werden müssen. Die Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Bestimmungen des TVGG-NRW ließ das OLG offen, da es die RepTVVO aufgrund eigener Verwerfungskompetenz für nichtig befinden konnte.
Noch ausstehend ist eine Berufungsentscheidung des OVG Münster gegen ein Urteil des VG Düsseldorf vom 30.04.2015 (6 K 2894/13), in dem es ebenfalls um die Verfassungsgemäßheit der Verpflichtung zur Einhaltung repräsentativer Tarifverträge im ÖPNV ging. Das VG hatte die Klage allerdings für unzulässig gehalten, da sich der klagende Arbeitgeberverband (ADVDE), dessen Mitglieder zu 90 % von öffentlich-rechtlichen Körperschaften überwiegend beherrscht werden, nicht auf die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG berufen könne.
Inwiefern die konkreten Verhältnisse auf dem Markt für Busverkehrsleistungen in Brandenburg mit den nordrhein-westfälischen Verhältnissen vergleichbar sind, ist offen. Rechtlich ist die Situation in beiden Ländern aber vergleichbar, sodass auch in Brandenburg entsprechende verfassungsrechtliche Angriffe auf § 5 Abs. 1 BbgVergG vorstellbar sind.