02.10.2015
Beitrag von Rechtsanwältin Katja Gnittke im Vergabenavigator 4/15.
Bei einem Auftrag, der Forschungsleistungen erfasst, kann die Qualität der Projektorganisation zur Durchführung der Begleitforschung ein statthaftes Zuschlagskriterium sein. Denn die Qualität der Ausführung eines öffentlichen Auftrages hängt maßgeblich von der beruflichen Qualifikation der mit der Ausführung beauftragten Personen ab. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf in dem Beschluss vom 29.04.2015 (Verg 35/14) entschieden.
Das OLG nimmt zur Begründung auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 26.03.2015 (Rs.C-601/2013) Bezug, wonach bei Dienstleistungen intellektuellen Charakters es im Rahmen der Zuschlagsentscheidung auf derartige Merkmale ankomme. Das OLG Düsseldorf lässt damit als erstes deutsches Oberlandesgericht nach der EuGH-Entscheidung die Bewertung der beruflichen Qualifikation bei der Zuschlagsentscheidung ausdrücklich zu.
Der Sachverhalt:
Eine GmbH schrieb im Auftrag des Spitzenverbandes Bund der gesetzlichen Krankenkassen, des Verbandes der privaten Krankenversicherung e.V. und der Deutschen Krankenhausgesellschaft e.V. (Vertragsparteien) die Beantwortung von Forschungsfragen im Rahmen einer Begleitforschung im Zusammenhang mit einem pauschalisierendem Entgeltsystem für psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen in einem Verhandlungsverfahren nach öffentlichem Teilnahmewettbewerb EU-weit aus. Gesellschafter der Auftraggeberin sind die Vertragsparteien. Die Auftraggeberin nimmt in deren Auftrag Aufgaben bei der gesetzlich vorgeschriebenen Einführung und Weiterentwicklung eines pauschalierenden Vergütungssystems wahr. Ein Zuschlagskriterium (70 %) war die Qualität, die anhand der folgenden Aspekte beurteilt wurde: Konzept zur Datenerhebung, Datenanalyse und -auswertung (Gewichtung: 50 %),
Konzept zur Veröffentlichung der Auswertungsergebnisse (Gewichtung: 20 %), Qualität der Projektorganisation zur Durchführung der Begleitforschung gemäß den Vorgaben unter Ziffer 1.3.3 der Angebotsaufforderung (Gewichtung: 30%). Beim Qualitätskriterium und den Unterkriterien sollten die Angebote jeweils nur bis 10 Wertungspunkte erreichen können. Die Bieter hatten im Angebot nach Ziff. 1.3.3 der Angebotsaufforderung zu beschreiben, welche Projektleiter und verantwortlichen Mitarbeiter mit der Durchführung der Begleitforschung betraut werden sollen. Für den Projektleiter und diese Mitarbeiter waren Erfahrungen mit vergleichbaren Datenerhebungen und -auswertungen
und Kenntnisse des Vergütungssystems für psychiatrische und psychosomatische Leistungen in angemessener Form zu dokumentieren. Aus der Darstellung musste hervorgehen, welche Bereiche von den Mitarbeitern persönlich bearbeitet (werden) und in welchem Umfang zusätzlich auf externen Sachverstand zurückgegriffen werden soll. Weiteres Kriterium war Honorar/Preis (30 %). Bezüglich des Honorars/Preises sollte gelten:
a) Für den niedrigsten Gesamtangebotspreis wird die Höchstzahl von 10 Punkten vergeben.
b) Für den höchsten Gesamtangebotspreis wird die niedrigste Punktzahl von 3 Punkten vergeben.
c) Die übrigen Gesamtangebotspreise werden relativ zu diesen beiden Preisen auf eine Nachkommastelle genau bepunktet.
In dem Vergabeverfahren gaben zwei Unternehmen, die spätere Antragstellerin und die spätere Beigeladene, nach dem Teilnahmewettbewerb indikative Angebote ab. Beide Bewerber wurden nach Präsentation und Vertragsverhandlungen zu letztverbindlichen Angeboten aufgefordert. Die Auftraggeberin teilte der Antragstellerin nach Prüfung und Wertung der Angebote mit, dass die Beigeladene den Zuschlag bekommen solle. Daraufhin rügte die Antragstellerin mehrere Verstöße gegen Vergabevorschriften, denen die Antragsgegnerin nicht abhalf. Die Antragstellerin reichte einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer ein. Im Nachprüfungsverfahren wurde im Wesentlichen über Folgendes gestritten:
1. Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien und unzulässige Mehrfachbewertung,
2. Wertungssystem, bei dem das niedrigste Preisangebot mit 10 Punkten und das höchste Preisangebot lediglich mit 3 Punkten bewertet werden soll,
3. das Angebot der Beigeladenen sei hinsichtlich der Qualität zu Unrecht schlechter bewertet worden.
Die Vergabekammer gab dem Nachprüfungsantrag statt und untersagte die Erteilung des Zuschlags auf das Angebot der Beigeladenen. Sie gab der Antragsgegnerin auf, bei fortbestehender Vergabeabsicht das Vergabeverfahren in den
Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen. Hiergegen richtete sich die Antragsgegnerin mit der sofortigen Beschwerde.
Die Entscheidung:
Die Beschwerde hat im Ergebnis keinen Erfolg. Auch das OLG Düsseldorf hält den Nachprüfungsantrag für zulässig und begründet. Das OLG Düsseldorf stellt zunächst klar, dass die Auftraggeberin als öffentliche Auftraggeberin nach § 98 Nr. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) anzusehen ist. Die Einführung und Weiterentwicklung eines pauschalierenden Vergütungssystems sei eine kraft des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (KHG) geregelte, gesetzlich angeordnete und im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nicht gewerblicher Art. Der Antragsgegnerin sei diese Aufgabe übertragen worden, deshalb sei sie zudem besonderen Zweck der Aufgabenerfüllung gegründet worden. Die Antragsgegnerin werde überwiegend durch eine öffentliche Stelle nach § 98 Nr. 1 GWB finanziert. Finanzierung durch öffentliche Stellen sei ein Transfer von Finanzmitteln, der ohne spezifische Gegenleistung mit dem Ziel vorgenommen wird, die Tätigkeiten der betreffenden Einrichtung zu unterstützen. Die funktionale Auslegung dieses Begriffes schließe auch eine mittelbare Finanzierungsweise ein, die im konkreten Fall durch Bundesgesetz in Gestalt des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (KHG) und demzufolge durch den Bund als öffentliche Stelle erfolge. § 17 d Abs. 5 KHG erlaube den Vertragsparteien, von den Krankenhäusern für jeden abzurechnenden Krankenhausfall einen Zuschlag zu erheben, mit dem die Entwicklung, Einführung und laufende Pflege des einzuführenden Vergütungssystems finanziert werden soll (DRG-Systemzuschlag). Daraus werden auch die Kosten der Begleitforschung finanziert (§ 17 Abs. 8S. 3, § 17 b Abs. 8 S. 3 KHG). Der Finanzierung stünden keine spezifischen Gegenleistungen gegenüber. Die Antragsgegnerin erbringe keine Leistungen für einzelne Krankenhausfälle, ihre Tätigkeit beschränke sich auf die Einführung, Weiterentwicklung und Pflege des pauschalierenden DRG-Vergütungssystems. Auch der Umstand, dass die Vertragsparteien, die die Antragsgegnerin gemeinsam beherrschen, die Höhe des DLG-Zuschlages vereinbaren und damit selbst festlegen, stehe dem Vorliegen einer mittelbaren Finanzierung nicht entgegen, weil der Betrag gesetzlich vorgegeben ist und das Gesetz die zu erbringenden Leistungen und die damit verbundenen Aufgaben genau definiert und eine Gewinnerzielung ausgeschlossen ist. Das OLG führt des Weiteren aus, dass eine Präklusion (eine Nichtberücksichtigung des Vorbringens) wegen Verstoßes gegen die Rügeobliegenheit ausscheide. Die Rechtslage in Bezug auf das Verbot einer Mehrfachbewertung von Eignungsmerkmalen sei nie zur Ruhe gekommen und im Fluss. Eine Kenntnis eines Rechtsverstoßes könne der Antragstellerin daher nicht unterstellt werden. Dasselbe habe für eine Kenntnis zu gelten, das bekannt gemachte Wertungssystem sei bezüglich des Preises vergaberechtswidrig. Die Rechtsregeln, denen die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Angebote unterliegt, seien vielschichtig und komplex. Es handele sich um eine Domäne des Auftraggebers. Kenntnis, dass das Angebot möglicherweise fehlerhaft bewertet worden ist, habe die Antragstellerin zudem erst aufgrund der Bieterinformation erhalten. Die im Anschluss an die Bieterinformation nach drei Tagen erhobene Rüge sei unverzüglich erfolgt. Im Rahmen der Prüfung der Begründetheit erkennt das OLG keine unzulässige Vermengung von Eignungs- und Zuschlagskriterien.
Das OLG bejaht, gestützt auf das Urteil des EuGH vom 26.03.2015 (Rs.C-601/2013), dass nach der Richtlinie 2004/18 in bestimmten Fällen - nämlich bei intellektuellen Dienstleistungen - eine Bewertung der beruflichen Qualifikation der mit der Ausführung beauftragten Personen zulässig sei. Das System der Preiswertung sei aber vergaberechtswidrig. Es gewährleiste nicht, dass die Angebotswertung gemäß den bekannt gegebenen Zuschlagskriterien und der vorgesehenen Gewichtung vorgenommen werden könne. Durch das geplante Vorgehen bei der Zuschlagsentscheidung würden die Kriterien Preis und Leistung in Bezug auf die Bieter bei nur zwei Angeboten verschieden und mithin gleicheitswidrig bewertet. Beim schlechteren Angebot ist der Preis unterbewertet worden - nämlich gar nicht, beim besseren Angebot ist sie regelrecht bewertet worden. Damit werde die bekannt gegebene Gewichtung von Preis und Leistung beim schlechteren Angebot aufgegeben und ins Nachteilige verändert. Die Beschränkung auf 3 Punkte beim teuersten Angebot wirke sich wettbewerbsverzerrend aus. Außerdem hält das OLG die Bewertung aus folgenden Gründen für rechtswidrig: Nicht alle in den Vergabeunterlagen aufgeführten Unterkriterien seien Gegenstand der Wertung gewesen. Eine Abweichung von den benannten Zuschlagskriterien sei vergaberechtlich nicht zulässig. Einen weiteren Mangel erkennt das OLG in einer Inkongruenz zwischen Leistungsbeschreibung und Angebotsbewertung im Hinblick auf Datenanalyse und -auswertung sowie die Plausibilisierung der Daten. Nicht zu beanstanden ist nach Auffassung des OLG Düsseldorf die Hinzuziehung eines Begleitgremiums, das sich aus Angehörigen der Vertragsparteien und externen Personen zusammensetzt, bei der Wertung der Angebote. Der öffentliche Auftraggeber dürfe in jedem Stadium des Vergabeverfahrens auch externen sachverständigen Rat heranziehen. Wenn die Vergabeentscheidung von verantwortlichen Personen beim Antragsgegner unterzeichnet worden ist, sei die Vergabeentscheidung vom Auftraggeber getroffen, auch wenn sie von dem Begleitgremium oder externen Angehörigen vorbereitet oder vorgeschlagen sein sollte. Daran ändere sich nichts, wenn der abschließende Vergabevermerk erst im Anschluss an eine Rüge ausgefertigt wurde.
Praxishinweise:
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf, die Bewertung der Qualifikation und Zusammensetzung des Teams bei intellektuellen Aufträgen als zulässig anzusehen, ist zu begrüßen. Sie entspricht einem wesentlichen und sachlich begründeten Bedürfnis der Praxis. Es erstaunt ein wenig, dass das OLG Düsseldorf nicht auf die Regelungen in § 4 Abs. 2 der Vergabeverordnung (VgV) Bezug nimmt, nach der vergleichbare Kriterien bei Leistungen nach Anhang I B zur VOL/A ausdrücklich zulässig sind. Die Regelung dürfte nach der Rechtsprechung des EuGH und der Entscheidung des OLG Düsseldorf weitgehend überflüssig sein. Bei der praktischen Anwendung dieser mitarbeiterbezogenen Kriterien muss der Auftraggeber darauf achten, dass er dieselben Gesichtspunkte nicht gleichzeitig bei der Prüfung der Eignung oder Auswahl im Teilnahmewettbewerb und den Zuschlagskriterien heranzieht. Deshalb ist er gut beraten, wenn er als Eignungsnachweis lediglich unternehmensbezogene und nicht mitarbeiterbezogene Referenzen fordert und Angaben zu den konkret für die Auftragsdurchführung vorgesehenen Mitarbeitern nur und ausschließlich im Rahmen des Angebotes abfragt, wenn er sie bei der Zuschlagserteilung berücksichtigen möchte. Zu Wertungssystemen, die eine bestimmte Punktzahl für die bei einem Kriterium am schlechtesten bewerteten Angebote vorsehen, ist die Entscheidung des OLG Düsseldorf die zweite Entscheidung, die dem Auftraggeber Grenzen setzt (vgl. hierzu auch: „Transparente Preiswertung", in diesem Heft, Seite 27). In der Entscheidung vom 22.01.2014 (VII Verg 26/13) hatte der Vergabesenat des OLG Düsseldorf bereits eine Punkteskala für ein Qualitätskriterium, bei der 100 Punkte für das Angebot mit der höchsten Wertungspunktzahl und 0 Punkte für das Angebot mit der niedrigsten Wertungspunktzahl vergeben wurden, als unzulässig angesehen. Dies gelte jedenfalls, wenn nur zwei Angebote in die Bewertung einbezogen werden, da in diesen Fällen das jeweils zweitplatzierte Angebot überhaupt keine Punkte bekomme und tatsächlich nicht gewertet werde. Es sei dahingestellt, ob die Begründung des OLG Düsseldorf, die auf die Transparenz der Zuschlagskriterien abstellt, richtig ist. Schließlich ist den Zuschlagskriterien in den Vergabeunterlagen ja zu entnehmen, dass das schlechtplatzierteste Angebot gar nicht gewertet wird. In der Sache dürfte eine solche Bewertung der Angebote aber auch nicht sinnvoll sein, da sie nicht widerspiegelt, wie wesentlich die Abweichungen der Angebote im Hinblick auf die Kriterien sind. Auftraggeber sollten auf eine solche Bewertung verzichten. Das OLG Düsseldorf schlägt als rechtssicheren Weg vor, für die Festlegung der Punktzahlen ein fiktives Angebot, das doppelt so teuer ist, wie das preisgünstigste Angebot mit 0 Punkten und dazwischen liegende Angebote im Wege einer linearen Interpolation zu bewerten. Dem entspricht es, wenn dem Bestbieter eine bestimmte Punktzahl zugeordnet wird und die Punktzahl für andere Angebote entsprechend der prozentualen Abweichung vom Bestangebot ermittelt wird. Bei Leistungsgegenständen, für die es einen ermittelbaren Marktpreis gibt, kann der Auftraggeber nach meinem Dafürhalten auch eine bestimmte Punktzahl für den angenommen Marktpreis vorgeben und bei allen Angeboten Abweichungen davon prozentual bewerten.